Traugott Giesen Kolumne
23.12.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Der Kern von Weihnachten
Früher wusste jedes Kind, was Weihnachten
bedeutet: Gott schickt seinen Sohn in die Welt, um uns mit sich zu versöhnen.
Heute ist Gott fraglich, und was ein Sohn für Qualitäten hat,
kommt immer drauf an. Sohn und versöhnen � ist zwar ein schönes
Wortspiel, aber der Hintersinn ist verloren, wo Schuld und Endgericht verblasst
sind.
Und dennoch ist Weihnachten wichtiger
denn je. Alle feiern es; auch wer keinen Zipfel seiner Herkunft weiss.
In einer der gotischen Kirchen an der Ostsee fragte ein Besucher den Ortspastor:
�Wir sind hier zur Besichtigung. Können Sie uns sagen, was da vorn
die hängende Figur bedeutet?� Ahnungslosigkeit ist hierzulande ausgebrochen
wie vor indischem Tempelschmuck. Und dennoch ist Christi Geburt das Retterbild
der Menschheit. Eine Rolle spielt dabei auch Mutterehre und Kindchenschema
und wehmütiges Kindheitserinnern, das sich dem Fest der Feste ankristallisiert
hat. Auch kommt ein Tag des Schenkens und Beschenktwerdens am Ende des
Jahres gerade recht. Wie die Amerikaner ihr Thanksgiving, ihr Erntedankfest
brauchen, um in Familie sich wiederzufinden, so wir den Vierundzwanzigsten
Zwölften. Heiligabend bildet die Familie ihren Herzkreis bis zur Ermattung,
und an den Feiertagen findet sich klug gestaffelt die nächste Verwandtschaft
und die besten Freunde.
Unterschwellig ist das Kind in der Krippe
das Inbild der Bewahrung überhaupt. Das Kind, das seine Arme uns entgegenwirft,
mit wissendem Lachen beschwört es uns: Gut, dass du da bist. Ja, das
Kind ist unserer Hilfe bedürftig, aber noch viel dringender brauchen
wir sein Zukunftsein und seine Gewissheit: gut, hier auf der Welt zu sein,
und seine Inbrunst, das Leben anzupacken.
Der Christenglaube begeistert mich immer
aufs neue: Der Sinn der Welt wendet sich, verkörpert sich im Menschen,
in diesem Jesus und in jedem Lebendigen. Und eben in diesem Jesus besonders.
�Das Wort wird Fleisch� heisst das edel. Gott schafft nicht nur das Leben
sondern geht es. Er geht Jesu Lebenslauf mit: Am Anfang der Stall, am Ende
der Galgen � jeder Mühe, jedem Mangel unterzieht sich Gott, erleidet
die Menschenschuld am eigenen Leib. Und geht selbst in den Tod, geht aber
durch ihn hindurch � und wir ihm nach. Darum leuchtet der Stern des Jesus
über der Menschheit. Sein Leben, ist zum Kennzeichen der Herkunft
und Qualität des Menschseins geworden: Jeder ewig gültig, einzig,
wunderbar. Darum bezeichnen wir auch unsere Geburt mit dem Stern von Bethlehem
und unsern Tod mit seinem Kreuz.
Der Herd unseres Menschseins ist die Liebe,
und ihre Glut ist eine feurige Flamme Gottes. Jedes Lieben ist gotteskarätig.
Und in jedem Kind lacht Gott uns an. Das hat Jesus uns entdeckt. Seine
Geburt gilt allen. Gratulieren wir uns zu Weihnachten.
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