Traugott Giesen Kolumne
04.11.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Gegen den Trend: Stillehalten
Noch hupe nicht. Das Knäuel wird
sich keinen Hauch schneller auflösen, nur du beschafftest dir Befreiung.
Dein Schwung, der so harsch ins Stocken kam, könnte wieder fliessen
mit dem Drücken auf die Hupe � aber zu welchem Preis: Die Konfusen,
die gerade noch ihre Autos zum Stillstand gebracht haben und die Szene
langsam zu checken beginnen, werden gleich schon das Richtige unternehmen.
Doch wenn du hupst wie blöde, werden sie wieder im Denkprozess zurückgeworfen
durch dein Blöken. Kein Wunder, wenn jetzt einer ausstiege und dir
aufs Dach hämmerte.
Noch einen Augenblick schluck deine Wut
runter, vielleicht besinnt sich der Chef, kann deinen Argumenten doch was
abgewinnen. Die unwirsche Geste, seine herrische Antwort hallt noch gerade
in ihm nach, wenn du die Stille jetzt bestehen lässt. Er geht auf
und ab, schaut dich an, du könntest ein Kontra landen, das sich gewaschen
hat, aber besser, er besinnt sich, kann sich als Mensch der Übersicht
zeigen; besser, du bist guter Verlierer als schlechter Sieger, dein Verzicht
auf Nachkarten vergisst er nicht. Besser, du hast noch einen gut, als dass
er auf Revanche lauert.
Will dein Partner sich nicht für
dich entscheiden, bedenk das in Ruhe, es eilt nicht. Ihr könnt es
noch lange gut haben, wenn es jetzt hinreichend gut ist und du es so gut
sein lässt. Natürlich kannst du deine Liebe kappen, wenn du meinst,
seine Entscheidung für dein Selbstwertgefühl zu brauchen. Jedenfalls
ihn jetzt zu überlisten, würde nur Gift säen. Du kannst
die Ungewissheit besser aushalten, wenn du dir gestehst, dass er dir ja
auch nicht der Ein und Alles ist.
Jesus rät einmal: Will einer von
dir eine Jacke, dann gib ihm auch den Mantel. Dies mal ausprobieren bei
Forderungen an dich. Ob du nicht Kräfte schonst, wenn du einfach etwas
mehr gibst als du musst. Jedenfalls sind die nicht geführten Prozesse
die einträglichsten. Noch auf dem Weg zum Gericht einige dich mit
deinem Gegner, sagt Jesus auch, eben gegen unsere Streitlust, unser Recht-behalten-wollen
und Macht-zeigen-wollen.
Und deinen Strafzettel bezahl ohne Murren,
auch wenn gerade diese Strafe dir als ungerecht aufstösst. Wie viele
Male bist du heil durchgekommen, du warst doch längst mal wieder fällig.
Und lern doch daraus. Wenn du jetzt einige Zeit wenigstens ruhiger fährst,
kann das den grossen Schlag ersparen.
Kann man sagen: Stillehalten kann sich
nur der Gerissene leisten, der Redliche bleibt auf der Strecke dabei. Nur
Wegducken, nur sich unsichtbar machen kann damit nicht gemeint sein.
Stillehalten ist auch Standhalten, ist
Vorsicht und Vertrauen Aufbauen. Der klug ist, nimmt sich Zeit, die Lage
zu erfassen, hält sich bereit für die günstigen Umstände.
�Die Fliege, die nicht geklappt sein will, setzt sich am sichersten auf
die Klappe selbst� (Lichtenberg). Diese Wachheit wünsch ich uns �
die sprungbereite Trägheit eines Cowboys.
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