Traugott Giesen Kolumne
07.10.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Das Kind ist eine Offenbarung
Wir sollen nicht so viel nachdenken, was
wir tun sollen, vielmehr sollen wir bedenken, was und wer wir sind � so
der Mystiker Meister Eckhart. Für eins gilt das besonders: Unzählig
die Ratgeber, was wir mit Kindern tun und lassen sollen. Doch wichtiger:
Wer sind die Kinder?
Biologisch gesehen, pflanzlich verglichen,
kommt ein Ableger hinzu; tierhaft geredet zieht das Leben einen neuen Wurf
hervor. Darwin kann unsere Kinder aus Zwängen erklären. Die Evolutionslehre
ist eine rückwärtsgewandte Wissenschaft. Sie kennt keine Zielgerichtetheit,
keine Zukunft. Doch Kinder sind die pure Lust an Zukunft.
Wir machen keine Kinder sondern werden
zueinander hingefügt, dass Kinder kommen können. Der, die, das,
was Zukunft betreibt, macht uns Gegenwärtige zu Besorgern günstiger
Bedingungen für die Werdewelt. Nie sind Eltern auf eigene Faust Eltern,
sie wissen sich von höherer Seite in Dienst genommen.
Das Neugeborene im Arm weisst du: Dieser
Mensch ist ewig unterscheidbar, einmalig, wunderbar, ist für die Freiheit
bestimmt. Und ist kein Klon, keine Dublette, keine Kopie sondern Original.
Dein Kind ist kein Zufall, sondern ein
wunderbarer Einfall der Schöpferkraft. Eine absichtsvolle Intelligenz,
die die physikalischen Konstanten und Startbedingungen der Welt präzise
festgelegt hat, betritt Neuland mit diesem neuen Kind. Du musst dein Kind
für eine einzigartige Person halten.
Hältst du aber dein Kind für
ewig gewollt, entdeckst du dich auch neu als wichtig. Und die übrige
Menschheit, der Kosmos geht dir wieder auf als geheiligt. Das Kind ist
eine Offenbarung, es öffnet uns unser innerstes Wissen: Wir sind Kinder
Gottes und haben ein Kind Gottes anvertraut bekommen.
Dein Kind macht dich fromm, dankbar, nachdenklich.
Dass dies existiert, ist so unwahrscheinlich � weder Raum noch Zeit unseres
Universums reichen aus, um diese Struktur zufällig zu beschaffen.
Bereits ein einfacher Virus ist eine von etwa 10 hoch 5000 möglichen
Strukturen (M. Eigen).
Dein Kind ist gewollt, du weisst es. Und
selbst wenn die Liebe zweier Menschen verfliegt, sie musste sein, um dies
Kind zu erden. Dein Kind ist ein Wille Gottes auf zwei Beinen, eurer Fürsorge
anvertraut � Du weisst es. Es kommt mit ungeheurem Selbstbewusstsein in
die Welt: Tochter, Sohn Gottes; unbekümmert verhält es sich getreu
seiner Launen, noch Sternstaub in den Augen. Ihr seid diesem Kind gewidmet.
Das Kind sieht überall Freundesland.
Ihr habt ziemliche Skepsis und werdet aufpassen bis an den Rand eurer Kräfte.
Und müsst und könnt vertrauen, dass ihr von guten Mächten
wunderbar geborgen seid. Das Kind bringt euch die Kraft mit, die ihr braucht.
Ihr werdet an seiner Heiligkeit wachsen. Partner Gottes � mehr kann man
nicht werden.
Drucken