Traugott Giesen Kolumne 15.07.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Schon mal Blut gespendet?
Sichtbarer kann man es kaum erfahren, dass wir blutsverwandt sind.
Du im Krankenhaus, sterbenselend. Und über dir hängt der Beutel
mit dunkelrotem Lebenssaft, sickert langsam in dich ein. Du kannst nichts
für dich tun, die Kontrollgeräte surren, der Monitor wirft die
Zackenlinie, Atem, Blutdruck stabil. Du bist in trockenen Tüchern,
Nächste mit Tränen in den Augen stehen vor deinem Bett. Du brauchst
noch viele Portionen dir geschenkten Blutes, bis du wieder zu Kräften
kommst. Du darfst noch mal leben.
Blut ist ein besonderer Saft. Das Teil steht für das Ganze: Junges
Blut, kaltes Blut; Blutsverwandtschaft, -feindschaft, -brüderschaft;
mit Schweiss und Blut und Tränen; mit Herzblut geschrieben; das eigene
Fleisch und Blut. Blut gilt den Religionen als Sitz des Lebens. Als Kain
den Abel erschlug, schreit dessen Blut gen Himmel. Jesus hat sein Blut
für den Erweis gegeben, dass Gott sich an die Welt hingibt. In einem
Tropfen Blut wollen Heilkundige den ganzen Menschen abgebildet sehen.
Diese 5 - 6 Liter rosenrote Flüssigkeit im Menschen sind ein Wunder.
Es trägt das Leben tatsächlich, transportiert Sauerstoff und
Nahrung und Hormone und zu Entsorgendes. Nicht zu fassen, dass die gesamte
Blutmenge in einer Minute den Körper durchströmt; was das Herz
schlagen macht, bleibt bei allem medizinischen Vokabular ein Geheimnis.
Normal ist, dass wir unser Blut behalten wollen. Wir verstehen auch
nicht, dass ein halber Liter gespendetes Blut schon tags drauf wieder im
Körper ersetzt ist, wie wir ja allermeist zuwenig von unserer Biologie
wissen; Hauptsache, sie funktioniert. Aber wenn mal Not ist, dann soll
für mich, gerade für mich Hilfe bereitstehen. Gellt das Martinshorn,
dann durchfährt uns ein �Gott sei Dank�: wir sind in Sicherheit. Doch
sind Angehörige unterwegs, zittern wir schon wieder, ob hoffentlich
ihm nichts passiert ist.
Wer auch verunglückt, wer auch operiert wird, er braucht fremdes
Blut. Ob er mal gespendet hat oder nicht, wird nicht gefragt. Ein Netz
der Nächstenliebe spannen wir untereinander aus. Und du bist mit dabei,
bitte. Es ist nur ein Ruck nötig, hinzugehen zur nächsten Spendenstelle,
es ist nur ein Piek und eine halbe Stunde Ruhen, und du kannst mit Anstand
selbst mal auf Hilfe hoffen, weil du den Hilferuf jetzt nicht überhörst.
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