Traugott Giesen Kolumne 06.05.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Auto und Charakter
�Wie ein Mann Auto fährt, so möchte er sein� � sagte Anna
Magnani. Ich fahre wohl zügig, Lücken nutzend, ziemlich umsichtig,
berechenbar, meist etwas zu schnell. Ich halte auch gern mal eine Lücke
frei im Stau für Leute, die schwer in Druck sind. Weiss aber nicht,
ob ich mit diesem Lückelassen nicht erst die Gelegenheit zum Hoppen
auftue.
Möchten wir nicht alle gern Sieger sein, unangestrengt, grosszügig,
beneidet? Oder aber friedlich und verschont? B. Brecht lobt den Autofahrer,
der einen gleichmässigen Verkehrsfluss befördert, indem er nicht
überholt. Aber wir haben nun mal verschiedene Temperamente, und die
Kurzstreckenläufer haben es eiliger als die Geher. Die einen leben
bedächtig, andere mit Sportsinn, mit Kampfgeist; sie nehmen die Situationen
allesamt als Herausforderung. Ihre Erfindungsgabe im Überwinden von
Schwierigkeiten wird immer neu angestachelt, der Verkehr übt.
Vielleicht gibt es Grundunterschiede: Wanderer und Siedler, möglicherweise.
Wenn Sesshafte autofahren, dann siedeln sie auch auf der Strasse, wollen
ihr Revier dabei haben, bewegen sich nur schwerfällig, wie aus Not,
sind nicht nachgiebig, nicht elastisch. Die Wanderer sehen immer Abenteuer
vor sich, wollen eher am Ziel sein, und dann schon mal es sich gemütlich
machen � aber erst dann. Bis dahin arbeiten sie hart � Raumgewinn ist ihr
Auftrag.
Vielleicht sind auch andere Unterschiede wichtig: Eitel oder selbstgenügsam.
Die einen nehmen die Strasse als Laufsteg; man zeigt sich und führt
vor, was man sich leisten kann. Die andern spielen nicht mit bei diesem
Wettbewerb; zeigen scheint ihnen müssig, belanglos scheint ihnen,
ob ein Auto schneller fahren kann. Sie ziehen vielleicht ihren Stolz aus
dicken Kürbissen im Gartenverein oder sind in Gedanken bei den Enkeln,
überlegen beim Fahren, wie sie für die ein Baumhaus erstellen.
Man sollte meinen, der Hauptunterschied liege zwischen Berufsfahrern
und Hobbyfahrern. Sicher muss, wer autofahrend sein Geld verdient, zügig
sein. Aber auch da gibt es Gleiter und Sprinter, und welche sind gern schneller
daheim, andere lieber friedlich unterwegs.
Hochmütig, rücksichtslos und nachlässig ist der Sünder
heute, das Auto ist die passende Waffe. Hinzu kommt, dass Verzweiflung
und Hingabe, die nicht weiss wo sie hin soll, sich gern richten im öffentlichen
Raum der Strasse. Nur weil höchstens eine von zehntausend Übertretungen
geahndet wird, ist noch soviel Verkehr und ist er so gefährlich.
Lächerlich, wer sich da über die eben erhöhten Bussgelder
beschwert. Wir � ausser Berufsfahrern � sind doch alle längst fällig,
wenn wir erwischt werden. Und sollten für Denkzettel danken.
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