Traugott Giesen Kolumne 26.02.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Wieviel Fügung braucht der Mensch?
Ist alles verfügt und vorprogrammiert oder alles ist ein Spiel
aus Zufall und Notwendigkeit? Warum saß ich nicht im Zug, der verunglückte?
Warum bekam ich die Zeitung in die Hand mit der lockenden Heiratsanzeige?
Warum wurde ich gezeugt, die eine Chance aus Milliarden Kombinationen?
Wäre alles verfügt und spulte sich nur ab, wären wir
nur Rädchen im Getriebe. �Gott sah Abels Opfer gnädig an, und
Kains Opfer sah er nicht gnädig an�, so steht es auf der vierten Seite
der Bibel. � Stimmte das, dann wäre doch Kain nur Opfer eines Willkür-Übervaters.
Kain schätzte sich als Verlierer ein vor den ewigen Augen, fand das
ungerecht und mordet den Bevorzugten. Was ließ Kain so denken? Tausend
Gründe. Jedenfalls räumt er den Bruder aus dem Leben, steht so
nicht mehr im Schatten.
Aber Licht und Schatten verteilt sich nicht getreu unserer Mühen.
Es ist da eine geheime Beziehungsfülle. Gut wohl, daß uns unser
Gensortiment verfügt ist. Sobald es gelänge, einzelne menschliche
Gene zu hemmen oder zu ersetzen, ist der Run auf die Abschaffung des Todes
eingeläutet; Sportärzte ahnen schon die Züchtung von Basketballern
und Turnerinnen kommen. Und doch, wer unter Mukoviszidose leidet, was würde
er nicht geben, um das entsprechende Gen an seine Kinder nicht weitergeben
zu müssen.
Was wir tun können, um glücklich zu werden und zu machen,
das sollen wir tun. Es ist unendlich viel mehr Potenz des Gelingens in
der Welt als Scheitern, Sünde, Schaden. Selbst Kain wird noch beschützt
von Gottes Zeichen und Gott bleibt gebrandmarkt vom Kainszeichen. � Will
sagen, daß die letzte Verantwortung für Böses von Gott
ertragen wird. Das macht wohl die Dramatik unseres Machens aus. Es hat
Folgen bis ins dritte und vierte Glied und mehr. Wir wirken mit an Schicksal,
Glück und Mühe über uns hinaus.
Wie wir unser Leben verpfuschen, wie die Tragödie von uns ausgeht,
genährt, unterhalten wird (C. G. Jung) � es wäre gut, wenn uns
dafür die Augen geöffnet werden. Zu viel schieben wir dem Schicksal
in die Schuhe. Wenn Jesus geglaubt hätte, das Leid wäre den Menschen
verfügt, hätte er keinen einzigen heilen dürfen. Er meinte
aber, daß vor uns immer Glücken und Heilwerden steht. Darum
sollen wir auch unser gerüttelt Maß Verantwortung tragen in
Richtung Zurechtbringen, Zurechtkommen.
�Tut Buße, damit komme die Zeit der Erquickung� (Apostelgeschichte
3,19f) weist uns starke Kraft zu, daß wir verändern können.
Rausreden auf Fügung ist nicht. Wohl aber Dank für Begabung.
� So gehört beides zusammen: �Gottes sind Wogen und Wind, aber Segel
und Steuer, daß ihr den Hafen gewinnt, sind euer�(Gorch Fock).
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