Traugott Giesen Kolumne 19.02.2000 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Unsere Seele ernährt sich von Zuversicht
Als der Sohn noch immer nicht angerufen hatte nach seinem Überseeflug,
rief die besorgte Mutter ihre Mutter an und gestand ihre Angst. Wissend
sagte die alte Dame: �Aber sein Horoskop ist gut.� � Der Sternenspuk ist
eins von vielen Schutzschilden, mit denen wir uns in Sicherheit bringen
wollen. Die einen klopfen auf Holz, andere stecken sich die Babyschuhe
ihrer Kleinen an den Autospiegel oder den Christopherus ans Schlüsselbund.
Als besonders glücksbringend wird das vierblättrige Kleeblatt
eingeschätzt, wohl wegen seiner Kreuzgestalt.
Daß Sachen unser Schicksal beeinflussen, liegt nahe. Fehlendes
Wasser läßt verdursten, ein Deich kann uns vor Überflutung
schützen, eine Leitplanke uns auf der Straße halten. Aber doch
rettete nicht dies und das, sondern war nur Mittel. Die Sachen sind ja
nicht denkende Wesen. Darum bedanken wir uns ja auch nicht beim Wasser
für sein herrliches Naß, nicht beim Auto für seinen Fahrspaß.
Die Dinge sind uns an die Seite gestellt von einem gnädigen Geschick.
Wir danken für sie. Und wenn sie uns mangeln, bitten wir nicht sie
sondern um sie.
Wir sind von der Grundgüte der Welt überzeugt und das Wirkliche
gilt uns als zumutbar. �Vaterschoßgewißheit� nennt Sloterdijk
diesen Grundglauben, daß wir gehalten sind über dem Abgrund.
Wir können dem Lauf der Dinge trauen, müssen nicht zwingen oder
meiden sondern nur mit influß sein. In gutem Zusammenhang sich wissen
und für sich selbst dankbar sein können � das macht den Glauben
an Gott aus. Aus freien Stücken vermag auf dies Herz aller Dinge wohl
keiner zu verzichten, es sei denn, er sähe sich zu einem unglücklichen
Bewußtsein verpflichtet.
Wir sind nicht mit Risikoversicherungen zufrieden. Wir wollen �Stecken
und Stab� zum Trösten haben. Das kann ein Ring am Finger oder ein
Foto im Medaillon sein. Keiner meint, daß Münzen im Brunnen
einen an den lieblichen Ort zurückführen und doch hat eine Handvoll
heimatliche Erde im Gepäck magnetische Kraft. Kleine Pfänder
für glückendes Geschick hüten wir, und sie hüten uns.
Natürlich nicht wirklich. All die Pfänder, Reliquien, Schutzzeichen
sind Hinweise auf einen Raum des Geistes und der Güte. Wir müssen
immer wieder zur Zufriedenheit mit dem Weltlauf überredet werden.
Musik, Schönes, Liebe, ja vor allem Umarmen, sind Versprechen des
universalen Grundes, nenn es Gott oder anders. Die Materialien vom Rosenkranz
bis zur Sternen-Konstellation sollen Vertrauen festigen in die Mutter (Mater)
aller Dinge. Solange die Dinge freilassen und nicht gefangennehmen, kann
man sie mit Augenzwinkern benutzen. Doch �von guten Mächten wunderbar
geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag� ist die Substanz, die unser
Ich über den Wassern der Angst hält.
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