Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.
Jeremia 17, 14
Mir mangelt es an Gottvertrauen. Darum frage ich mit meiner Krankheit,
warum du mich scheel anschaust. Mein Argwohn macht dich mir garstig. Dabei
hast du nur Heilmachen vor, bist Helfer, Retter, Zurechtbringer. Dich für
einen Beschädiger und Verseucher und Plager zu halten ist irrig �
trotz mancher Geschichten, die so klingen. Du heilst. Bin ich noch krank,
hast du mich noch in Arbeit. Überhaupt � in deiner Mache sein ist
das Höchste. Mir ist damit geholfen. Basta.
Keitumer Predigten Traugott Giesen 18.10.1998
Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, werdet ihr zu dem Berg sagen:
Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird�s geschehen (Matthäus-Ev.
21, 21).
Johannes-Ev. 5, 1 - 9: Es war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf
nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt
auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen
viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.
Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank.
Als Jesus den liegen sah und vernahm, daß er schon so lange gelegen
hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich
in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme,
so steigt ein anderer vor mir hinein.
Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!
Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.
Willst du gesund werden? � verblüffend diese Frage. Aber es spricht
viel dafür, daß man sich an ein Übel gewöhnt, sich
einrichtet in Mangel. Manche andauernde Krankheit wird zur Art Normalität,
man hat eine Kompetenz. Die Frau des Alkoholikers weiß, wofür
sie da ist; der Mann der Schlaganfallpatientin weiß seinen Auftrag,
er kann gutmachen sein jahrelanges Rücksichtslossein. Das bekannte
Unglück trägt uns mehr als das unbekannte Glück. �
Jesus trifft einen Menschen, dem die Mühe eingewachsen ist. Er
hat sich abgefunden. 38 Jahre liegt er gelähmt. Einst hatte er sich
zu den heilenden Quellen geschleppt oder bringen lassen. Aber die Heilkraft
scheint bei jedem Quellstoß nur einmal zu wirken. Jedenfalls sind
andere immer schneller gewesen. Das Interesse an seiner Genesung schien
ihn längst verlassen zu haben. Er gehörte zum Inventar des Kurortes.
Vielleicht machte er eben nur noch schattenhafte Gesten, sich doch noch
zur Heilung zu bequemen. Vielleicht hatte er ganz vergessen, wie es mal
anders war. Vielleicht hatte er einen Status, einen auf den andere herabsehen
konnten und dann fühlten sie sich noch ganz okay. So hatte er fast
eine therapeutische Funktion im Krankenbetrieb Betesda AG. Nur er selbst
� wollte er noch was? Oder war ihm sein Wille mit seinem Können und
Wissen schon auch abhanden gekommen?
Sokrates, der Weise, ging so gern zu den Athleten im Stadion � sah
gern sie sich mühen. Auch wir schauen gern zu, wie andere Können
und Wollen darstellen, die pulsende Vitalität des Körperlichen
ist schon wunderbar. � Lebendigstes treibt auch dich, betreibt auch dich
� das merken und bestaunen ist wohl ein Grund, warum wir Sport und Tanz
und auch Ballett gern sehen.
�Ihr wißt doch�, erinnert Paulus (1. Korinther 9, 24, 25) �ihr
wißt doch die Athleten in der Kampfbahn, wie sie laufen. Alle rennen,
aber nur einer erhält den Siegespreis, einen sehr vergänglichen.
Also lauft, daß ihr ihn erlangt. Müht euch, um so mehr, als
ihr einen unvergänglichen Gewinn davontragen sollt.� Paulus nimmt
den Wettkampf zum Bild, an dem wir uns ein Beispiel nehmen sollen: kräftig
sollen wir wollen, uns mühen, Gutes beschaffen.
Jesus trifft auf einen, dem die Lebensverneinung aus dem Gesicht schaut.
Der ganze Mensch ist wie ein verkrampfter Muskel; nur nein und apathisch,
als hätte er mit allem abgeschlossen. Hielt er sich für außerhalb
jeder Möglichkeit, sah er für sich nichts mehr in der Schwebe?
Hat er aufgegeben und sein Resignieren noch mit philosophischen Argumenten
gepolstert: �Der Wille hat niemals jemandem genützt� (mit Cioran),
auch weiß man nie, was daraus wird, wenn die Dinge plötzlich
verändert werden.
Ja, hinter ihm liegen Erfahrungen: ich habe es nie geschafft. Und die
Gewohnheit: ich versuche es nicht mehr, ich mache mich nur lächerlich:
�Hoffen und Harren macht manchen zum Narren�. � Er erklärt sich den
Verzicht auf Heilversuche für klug. � Bis einer kommt. Ein ganz Anderer.
Der macht die Welt singen, der trifft das Zauberwort, der setzt ihm eine
neue Spule Triebfaden ein.
Willst du gesund werden?
Eigenartig antwortet er: �Herr, ich habe keinen Menschen, der mich
in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; komme ich hin, so steigt
ein anderer vor mir hinein.� � Aber Jesus hat nach seinem Willen gefragt:
Und der antwortet mit dem Willen, dem Unwillen anderer. Andere helfen ihm
nicht, denken nicht an ihn, wollen ihn also nicht gesund haben.
Schuld sind die andern, die Umstände, die Schlechtigkeit der Welt.
Was haben wir nicht alles für Gründe, zu verharren im Unglück,
uns im Bett der Umstände einzuwickeln, statt das Bett zu nehmen.
Doch Jesus hört hinter das Bejammern, hört noch Heilwerdenwollen
und setzt seinen Heilwerdewillen mit in die Tat um. Ein Wunder, wahrlich.
� Doch wir sollen nicht Jesu Wunderkraft sezieren wollen. Wir sollen unsere
Heilkraft ausgeben und anwenden so gut wir können � denn sie ist wie
Jesu Vermögen Teil des Kräftehaushaltes Gottes.
�Du machst mich krank� � ja wir können uns beschädigen. Und:
�mit dir traue ich mir viel zu� � wir können uns stärken. Wir
können uns lähmen und beflügeln; können uns was antun,
das geht an die Nieren und unter die Haut, das verschlägt uns den
Atem, schlägt auf den Magen, das geht an die Galle und macht uns die
Nase voll, besorgt uns eine Gänsehaut, das läßt uns das
Herz stillstehen. � Dagegen: Du machst mich glücklich, hilfst mir
auf, schenkst Mut. Eigenartig, wir reden mehr vom Beschädigenden als
vom Heilen; aber wir können doch einem helfen, daß er sich wie
neugeboren erlebt. Schon unser Zutrauen bringt den andern wieder auf die
Beine.
Jesus stößt uns an, unsere Kraft zu nutzen, einander wieder
in Gang zu bringen. Jesus sagt mal, seine Jünger werden größere
Werke tun als er selbst (Johannes-Ev. 14, 2). �
Krankheit behindert uns in seelischen und leiblichen Funktionen, beschwert,
hemmt, belästigt, bedroht, schmerzt. Aber manch einer ist kompletter
mit nur einem Bein und hat ein größeres Herz bei nur schwachem
Puls. Sich selbst aufrecht erhalten und nicht fallen lassen ist Menschenpflicht.
Gesundheit ist Gabe, wir müssen sie nach Kräften bewahren und
nutzen. Gesundheit ist mehr als ein Katalog von Intaktheit. Manch einer
tut Wunder als Invalide, andere halten ihre durchgestylten Körper
für ein Gesamtkunstwerk. Sie schuften und verzichten für diese
Eitelkeit wie früher die Büßer und Asketen.
Aber krank, darüber sind wir uns einig, ist es, 38 Jahre auf Heilung
zu warten, also nicht jetzt, hier mit den vorhandenen Mitteln das Beste
draus zu machen, sondern das Leben aufzuschieben auf dermaleinst � wenn
die Lähmung plötzlich wegplatzt oder gar erst im Himmel.
Da ist einer, der sich dem widmet, der sich schon aufgegeben hat. Willst
du gesund werden? Noch mal eine Zukunft haben, Ideen verwirklichen? Willst
du? Gesund werden muß er selber � aber Jesus ist ihm Hebamme. Er
hilft dem Lahmen, sich neu zu gebären � sich noch einmal zu häuten
und einen Weg auf sich zu nehmen.
Viel Nervosität ist bei uns, Wirrwarr aus Meinen und Möchten.
Wetterfühligkeit ist nicht die einzige Abhängigkeit, schon ein
Zahnschmerz kann Diktator sein. Doch wir sind imstande zu glauben, daß
wir wollen können. Wir dürfen uns für Kinder Gottes halten,
also Kinder des Willens, der die Welt will, der Entwicklung anstößt,
der die Bedingungen für Evolution setzt. Wir dürfen uns wissen
als zu freiem Willen Gewollte. Bei allen Einschränkung durch mehr
oder weniger Begabung, Zeit, Umstände haben wir doch den Raum bekommen
für eigenen Willen.
Diesen Raum ausschreiten ist Auftrag. Das flaue Gewährenlassen
ist schwächlich, Wunschlosigkeit ist Armut (Bonhoeffer). �
Wünsche orientieren, mobilisieren, besorgen Ziele; Wünsche
sind Wegweiser in die Zukunft. Ohne Wünsche bleibe ich unbeweglich,
bleibe stecken in angehäuften Gefühlen und Empfindungen oder
werde hektisch � halte schon Rumfahren für Verwandlung, Tourismus
schon für eine neue Welt. �
Das unbedingte Zutrauen, daß Gott noch was mit dir vorhat, gehöre
zu deiner Aussteuer an Glaube. Glaub an das Abbild Gottes in deiner Seele.
Sieh dein Wollenkönnen als Berufung. Gott hat dich noch in der Mache,
in Entwicklung. Nimm dein Bett und geh!
Franz Kafka: Es ist sehr gut denkbar, daß die Herrlichkeit des
Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereitliegt, aber
verhängt in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit.
Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub.
Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie.
Amen.