19.07.1998 Wochenspruch mit kurzer Auslegung (T.G.)
So spricht der Herr, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht,
denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein! (Jesaja 43, 1)
Das ist die Widmung über jedem Menschen. „Du, aus dem Nichtsein
erlöst zu sein; aus dem Unbewußten, Körperlosen, Unzeitigen
gezeugt, gezogen ins Bewußtsein, ins Leibliche, Zeitliche.“ Fürchte
dich nicht, spricht mein Erfinder, meine schöpferische Kraft, die
mich in die Chromosomen meiner Eltern gefüllt hat. Der mich kennt
und meint, der mich einzigartig macht damit, daß er mich bei meinem
Namen ruft, und ich antworte mit meinem Verhalten, und was dann passiert,
darin ist er mein und ich sein.
Keitumer Predigten Traugott Giesen 19.07.1998
Die wohl innigste Geschichte vom Glück, die im Neuen Testament
steht, geht so:
Und Jesus nahm mit sich Petrus, Jakobus und Johannes und führte
sie auf einen hohen Berg, nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verklärt;
und seine Kleider wurden hell und sehr weiß, wie sie kein Bleicher
auf Erden so weiß machen kann. Und es erschien ihnen Elia mit Mose,
wie sie redeten mit Jesus.
Petrus sprach zu Jesus: Meister, hier ist für uns gut sein. Wir
wollen drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.
Er wußte aber nicht, was er redete; denn sie waren ganz verstört.
Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme geschah
aus der Wolke: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören!
Und auf einmal, als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei
sich als Jesus allein. Und sie gingen wieder zu den andern. (Markus-Ev.
9, 2)
Tage, Jahre laufen dahin, nicht geradezu wie ein Geschwätz, so
Psalm 90, aber leicht trottend – wenn man dann zurückblickt, vielleicht
im Standkorb, bei ziehenden Wolken, kann der Rückblick über Monate
und Jahre hintasten und hakt nicht fest. – Da war dir kein Ereignis, das
dich ansaugt oder fortschleudert – es ist dir mehr wie ein Gleiten durch
die Zeit – als flögen wir davon, so auch Psalm 90, – und ein Behagen
ist bei dir, ein Wohlergehen. Es scheint dir, auf kleiner Flamme köchelt
dein Leben so langsam, ganz langsam sich zur Neige. –
Wenn dir jetzt friedliche Zeit ist, dann danke Gott. Nutz diese deine
unaufgeregte Zeit. Denn auch du hast es anders erlebt, auch dir kam es
schon schwer, auch du bist Entronnener, auch Hinterbliebener, auch du bist
schon tief gefallen und bist wieder erhoben worden. Wenn du jetzt es gut
hast, dann freue dich.
"Warum fasten deine Jünger nicht" fragen die Pharisäer, und
Jesus antwortet: Wie kann die Hochzeitsgesellschaft fasten, der Bräutigam
ist da (Markus 2, 18f). Jesus selbst "hält es für überflüssig
und unsinnig, Gott durch Einschränkung von Freude, Glück und
Genuß gnädig stimmen zu wollen" (Drewermann). – Wir sollen Leid
lindern aber es nicht suchen. Wenn wir Kranke besuchen, dann nicht, damit
uns das Krankenhaus erspart bliebe. Sondern einfach nur, weil Leid einsam
macht und es nicht gut ist, einsam zu lassen. Wenn du im Glück bist,
dann teilst du, so einfach ist das.
Also, wenn du jetzt gut dran bist, dann genieße. Es kommen auch
wieder schwere Tage.
Da zerreißt ein Unglück das gewohnte Netz. Tage und Wochen
bist du unter Denkzwang, Bilder des Schmerzes fressen sich durch die Träume,
ein Beben der Umstände, ein Einstürzen der Verhältnisse,
ein Abstieg, auch sozial, kann sein. Ein Abriß von Lebensplan geschieht.
Weggerissen dir dein Liebstes, oder du bist verabschiedet und wegrationalisiert.
Ist einem das Unterpfand für Glück genommen, dann ist einem auch
Gott abwesend, die Seele verdunkelt, die Liebe ist einem ausgelaufen, das
Gewicht der Welt scheint dir alleine auferlegt, das macht dich steinig
hart. Leid macht das Gefühl von Verlorenheit, auch Gott scheint verloren
und weit entfernt.
Bis uns wieder aufgeht der helle Morgenstern in unseren Herzen. Bis
uns Licht erscheint auf dem Berg und das Seufzen wird abziehen.
Man warf Christen vor, sie seien versessen nach Leid, "erlöster
müßten sie aussehen, wenn ich den Christen ihren Erlöser
glauben sollte" sagte Nietzsche. Richtig: Kein Lob aufs Leid! Selig die
Leidtragenden, nicht wegen ihres Leides, sondern: sie weil sie getröstet
werden sollen (Matthäus 5, 4)! Es gab ein leidseliges Christentum,
das zur Imitation des leidenden Jesus aufrief, das ihm ähnlich werden
wollte durch Schmerz. Jesus ist kaum lachend dargestellt, einmal mit den
Kindern von Emil Nolde (?). Wir haben immer einen ernsten Jesus vor Augen.
Darum ist mir diese Szene so erhellend: Jesus mit drei Jüngern
der Welt entnommen, die Jünger sehen Jesus, Moses und Elia sich unterreden.
Die Jünger würden gern die stummen Zeugen dieser Heiligen Dreieinigkeit
bleiben, was muß man noch zurück ins Alltagsleben, laßt
uns Hütten bauen, hier, abseits. Nie wieder hier weg. – Was sagt dies
dem inneren Ohr, was erscheint in dieser Erscheinung?
Glück, Nähe Gottes und Glück sind hier ineins. Ein Leichtwerden,
ein Gefühl von Fliegen ist da. – Sie sehen Jesus zwar nicht mit Gott
aber mit den Jahrtausend-Menschen, die Gott am nächsten kamen. – Und
darin sehen sich die Jünger selbst erhoben, bejaht, von Gott in Blick
genommen, in seiner Schwerkraft, berührt, erwählt, im Reinen,
im Glück.
Schon das tut gut: Auf einem Berg allein, entrückt, entwischt
den niedrigen Kleinlichkeiten. Die Welt liegt zu Füßen, entronnen
bist du den Mühen – höchstens von ferne siehst du Menschen bei
ihrem Tagwerk, unwirklich wie Spielzeug. – Du aber schaust von oben: befreit.
Manchmal reicht auch eine Düne, um eine Vision zu haben.
Die Jünger schauen eigentlich einem Schauenden zu. "Daß
wir einem andern Menschen in die Augen schauen und darin das Glück
selber uns anschaut, ein Blick, so offen und tief wie ein Brunnen, dessen
Wasser in sich ruhig und klar das Bild des Himmels spiegelt" (Drewermann),
das kann uns geschehen, und es wird um uns hell, und auch die Kleidung
strahlt Glück aus, Bereitsein, ein Flair von Weiß und Willkommensein.
Die Jünger sehen Jesus in Zwiesprache mit Mose und Elia – beide
Zeugen klarster Gottesgewißheit. – Sie sind mit allem Zweifel doch
geborgen in Gottes Hand – Moses schaute Gott als ein sich nicht verzehrendes
Feuer in den Flammen des Dornbuschs, Mose führte in die Freiheit,
sagte die guten Gebote an. Und Elia: Der die Götzen zerschlägt,
der im verwehenden Schweigen Gott hört, der im feurigen Wagen zum
Himmel aufgehoben wird. – Jesus im Gespräch mit den stärksten
Gotteszeugen und dann die Stimme: "Das ist mein lieber Sohn, den sollt
ihr hören".
Die Jünger wischen sich die Augen, reiben sich die Ohren – sie
würden ewig gern dem Glück zuschauen dürfen, mitlauschen,
wie Jesus seine Gleichwertigen, seine kongenialen Mitentdecker Gottes findet;
Hütten hätten sie gern gebaut, dem Himmel nah, hätten gern
den drei Heiligen eine Wohngemeinschaft ermöglicht. Und die Jünger
als Butler – die die Brosamen von ihrer Herren Tische genießen.
Auch als sie hörten: "geliebter Sohn" – da wußten sie ihn
im Glück und sich bei ihm im Glück. So mit Himmels-Kräften
ausgestattet konnten sie gut zurück in den Alltag, auch bereit, sich
nicht zu drücken. Und konnten die Mühen übernehmen, die
auf sie zukamen.
Was den Jüngern geschah – nenn es Tagtraum oder Nachttraum, Erscheinung
oder Ekstase oder Offenbarung – laß sowas auch dir gefallen, wenn
es dir geschieht. Sicher können auch schlimme Träume, garstige
Bilder über dich kommen; Rachen der Angst schnappen auch nach dir
– aus Schuld, die auf dir lastet, und Wiedergutmachung hast du noch zu
leisten; oder Angst vor Verfolgung, vielleicht solltest du verhandeln?
Wieviel Sorgen haben wir uns selbst gesucht und aufgeladen?
Aber um so wichtiger die Bilder des Heils bei dir, dein Schutzbild,
dein Trostbild: Du siehst dich mit Jesus oder deiner Mutter früher,
vielleicht als kleiner Junge, kleines Mädchen mit Winnetou oder Momo
oder Rupert Neudeck auf seiner Cap Anamur zu neuen Rettungen unterwegs.
– Dann aufgewacht, willst du zurück in die Vision, willst gern Hütten
bauen da im Traumland. – Doch wichtig ist: Du kannst die Energie von dort
mit in den Alltag nehmen. Du bist auch bei der Arbeit mit guten Mächten
im Gespräch. Du bist nicht allein sondern im Konvoi mit Gott, mit
seinen Heiligen, mit irdischen Engeln. Und du bist auch andern ein Grund,
gern zu leben, du Versteck heilender Kräfte.
Wenn uns ein Bild von tragenden, schützenden Mächten geschenkt
wird, dann klammer dich nicht an die Figuren. Bau ihnen keine Hütten
bei dir, mach sie nicht zu deinen Hausgenossen, diene ihnen nicht – laß
sie vorüberziehen, sie lassen dir Energie, Verwandellust, Wonne, gerne
du zu sein. Auch kannst du Kraft aus ihnen ziehen, Erschöpfung dir
geschehen zu lassen. Laß dich dem Schlummer, wenn es jetzt so ist.
Erschöpfung bedroht dich nicht. Du bist wieder erleuchtet, wenn es
deine Zeit ist. –
Kraft spendet auch der Ausblick auf Himmel: "Ein heimatliches All,
wo man ausruhen darf von sich selber – auf einem kosmischen Ruhekissen
für alle unsere Müdigkeiten" (Cioran). Aber bauen wir uns keine
Hütten in den Träumen, sondern nehmen wir sie als Antrieb, Leid
zu dämpfen und Freude zu vermehren. Glück teilt, Leid beengt,
Freude macht großzügig, Trauer schließt sich ein. Achten
wir auf heilende Bilder: Etwa dies aus den Psalmen 30, 12 u. 31, 9: Du
hast meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer
ausgezogen und mich mit Freuden gegürtet. Du stellst meine Füße
wieder auf weiten Raum. – Doch um weiter zu entwickeln, was du, ich noch
als unvollendet bei dir spürst. Noch keine Hütten im Himmel,
noch hier lieben, sich mühen, Freude haben, Freude stiften, lachen.
– Glück fühlen hier ist Hütte jetzt. Amen.