Keitumer Predigten Traugott Giesen 31.12.2004

Psalm 73 Das große "Dennoch"

Jahreslosung 2004: Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen aber meine Worte werden nicht vergehen -Markus-Evangelium 13,31

Jahreslosung 2005: Christus spricht: Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht aufhöre. Lukas 22,32

Wir wollten so gern unbeschwert Silvester feiern, - und jetzt ist ein großes Jammern in der Welt, ist uns das Entsetzen ins Bewusstsein gebrannt: die Riesenwelle, die auf die Ufer von 15 Ländern prallte und Menschen, Tiere, Dörfer, Hütten und Hotels erschlug. Mehr als Hunderttausend Menschen, jeder ein eigener Kosmos, sind nicht mehr hier, nicht mehr bei uns, die wir die Sonne noch sehen und das wieder stille Meer. Entseelte Leichname wurden eilig unter die Erde gebracht. An den wenigsten haftet noch der Name, alle hinterlassen ein Loch des Schweigens und der Leere, Menschen kehrten allein nach Hause, Fischer haben kein Boot mehr, Mütter keine Nahrung für sich und ihre Kinder.

Und wir sitzen hier, wenigstens haben wir uns, haben eine Stunde Zeit uns zu stärken – allein schon an dem Lied: „Nun lasst uns gehen und treten“...“durch soviel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen , durch Krieg und große Schrecken....schließ zu der Jammerpforten“... Paul Gerhard dichtete das Lied 1653 bald nach dem dreißigjährigen Krieg, in welchem Millionen Menschen umkamen und Deutschlands Bewohnerzahl auf ein Drittel schrumpfte. Lied und Gebete, Bibelworte binden uns an den guten Ganzen. Und dieser Psalm des großen Dennoch:

„Dennoch bleibe ich, Gott, an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachteten, so bist du doch allezeit meines Herzen Trost und mein Teil.“ (Psalm 73) Die Welt ist voll kleiner Dennochs. Wieder sich hinschleppen zur Wasserstelle, wieder die Wunden verbinden, wieder die Bretter neu aufschichten, ein Dach über den Kopf besorgen, ein Gebet sprechen. Die vielen kleinen Dennochs fußen auf dem großen Dennoch: Daß morgen noch einmal die Sonne aufgeht und das Leben weiter wächst und reift, Bäume müssen gepflanzt werden, damit eine nächste Generation Früchte ernten kann, Kinder müssen ins Leben gerufen werden. Alle Hoffnungstriebe sind Triebe an Gottes Baum, sind die Federn im großen Gefieder Gottes. Das große Dennoch - Gott genannt - schlüpft aus den Liebestaten der Menschen über sich hinaus.

Der große Gott Dennoch lässt leben und dann auch sterben und spricht, wenn es zum Sterben geht: „Kommt wieder Menschenkinder“ Psalm 90.- Das letztlich bringt uns auf die Beine zu den kleinen Dennochs, treibt uns zu den Taten des Überlebens und der Nächstenliebe. Wir sammeln hier, andere geben ihre Kraft vor Ort, helfen dort stellvertretend. Wir gehören viel mehr zusammen, als wir es wissen. Jetzt, mit den vielen Dennochs anderer, wird in uns neue Zusammengehörkraft geweckt, und wir bringen auch was auf den Weg.

Es gibt viel Zweifel am allmächtigen Gott - ist er allmächtig, ist er nicht liebevoll? Dennoch bleibe ich an dir, du hältst mich. Logik kann Gott verneinen, aber wir wissen dennoch, daß er ist. Denn wir beten für die Gestorbenen, daß sie angenommen und angekommen sind, wir beten für die Alleingelassenen, daß sie das Leben nicht hassen, sondern weiterleben irgendwie, und sie getröstet werden. Wir beten für die Helfenden, die sich in die Schicksale Anderer knien, wir beten für uns, daß wir jeder um sich herum kleine Wellen der Liebe schlagen. Es gibt Zweifel an Gott, aber ohne Gott gäb es nur Schreien ins Leere. Es gibt Zweifel an Gott, aber dennoch muß er sein, ist er. Er ist. Sonst gäbe es nicht mal Zweifel, wir wären Anbeter des Nichtigen. Du aber erlebst dich doch als gottvoll. Dein „Dennoch bleibe ich an dir“ erhebt dir das Haupt.

Unsere Erde ist wunderbar und höchst verletzlich. Die Erdschale ist an manchen Stellen Alpendick, anderswo ist sie windeidünn, das kochende Magma liegt offen in Island und in den spuckenden Vulkanen. In tausenden Meter Meerestiefe klaffen die Schollen der Kontinente auseinander, werden von den Flieh- und Druckkräften übereinandergeschoben. Das drückt das Meer kilometerweit hoch, es schlägt an die Ufer der Länder und begräbt alles, was lebt. Das sind die Sintfluten, die die Menschheit bedrohen, die auch Gottes gute Erde zu ertränken drohen. Sylt war mal 10 mal so groß, hatte vor 700 Jahren 16 Kirchen, geblieben von Sylt ist dieses schmale Ankerland und nur noch zwei der alten Kirchen, 1362 war die erste große „Maandränke“, die die Insel fast entvölkerte und die wenigen Verbliebenen zurückbekehrte zu ihrem alten Odinglauben. Der lehrte, daß die Götter blutige Opfer wollen und die Flut Strafe sei für die Sündentat des Abfalls zum neuen Glauben. Später kamen die Christen Missionare wieder, - Gott sei Dank - und lehrten sie das große Dennoch. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil, Gott, Du großes Dennoch, Du großes Trotzalledem. In die völlige Leere rief er: es werde Licht. In die Urflut rief er: Hebe Dich Festes. In so was wie Erde säte er die Samen, Kerne seiner ungeheuren Dennoch-Energie. Diese Samen wurden mehr, dazu Tiere, dazu Menschen, dazu dich. Der Schöpferwille macht, daß sich die Dinge selber machen. Und Du bist auch eine Portion Dennoch, Du abgetrotzt den fast unendlich vielen Unmöglchkeiten. Du ins Leben gestemmt durch deine Eltern, bist du selbst wieder genutzt zu Eltern oder Paten für nächste Generationen, - das Leben ist ein unendlich geflochtenes Band aus Dennoch und Trotzdem. Ich, Du Zwischenglied auf Zeit, jeder ein Energiebündel voll Dennochkraft. Sieh doch was du tust:

Du widerstehst der Verwahrlosungstendenz bei Kraftlosgewordenen; du vermittelst Kindern das Welt-Wissen, du bestärkst Menschen in ihrem Lebenwollen trotz Erkrankung, du stiftest an zur Verständigung, du setzt gegen die Verrohung die Kunst der Sanftmut. Du pflanzt, schmückst, verteilst oder ordnest. Du bist selbst ein kleines Dennoch am großen Dennoch-Leib des Lebens, Gott genannt. Dieses Stück Leib Gottes, Mutter Erde, ist unter Wasser aufgebrochen, und hat Glieder von sich selbst erdrückt. Das Leid trifft Gott, der mütterlich-väterliche Lebensgrund erleidet das Leid seiner Kreatur. So ist er allmächtig, daß auch die Ohnmacht und das Sterben in ihm geschieht. Nicht, daß er von außerhalb, wie ein Uhrmacher die Uhr laufen lässt, sondern ich bleibe an dir, du hältst mich, wenn mir alles verschmachtet, du bleibst mir. Wir durfen die Beglückungen übers Jahr dankbar annehmen, waren Genossen der Freude auch einander. Von seinen Schätzen stammen Atem und Trank, Speise und Kleidung, Medikamente und Kunst, Sonne, Liebe, Zeit - vor allem Zeit- die wunderbare Gabe der Dauer und des Verwandelns, des Austragens und Gebärens. Anderen Menschen gingen diese Gaben aus. Ihnen ist Leib und Seele verschmachtet. Daß ihnen dennoch Gott ihres Herzens Trost und Teil ist, weiß ich - und darum ist die Losung fürs neue Jahr so rettend: Ich bete, daß Dein Glaube nicht aufhöre. Etwas macht mit uns, daß uns der Glaube bleibt.

Bitten wir auch, daß der Glaube bleibe denen, die Verlassene sind, gestrandet, entronnen, alleingelassene Kinder, Frauen, Männer, - amputiert um ein großes Stück ihrer selbst. Wir sind ganz miterschöpft, mit weggeschwemmt, suchen mit zu bergen - stehen ratlos. Dagegen scheint das Schmerzliche des eigenen Jahres erträglich. Aber schau es dir an, dein Schwarzes, Trauer, Abschied, Wunden, Verluste - ja auch. Aber es ist schon etwas Zeit vergangen. Das Schwarze ist eher dunkelviolett geworden, oder? Leere Hände wurden wieder gefüllt, anders und irgendwann. Beten wir für alle in Not, daß wir weiterleben können. Uns gehe auf, daß Gott uns hält bei der rechten Hand, uns leitet nach seinem Rat und uns annimmt endlich mit Ehren. Wr wollen Verwandelkraft erleben, wie ein Baum, von dem ein dicker Ast abbrach, der in Jahren eine neue Mitte gewinnt. Doch, Dennochkraft erfülle die Verlassenen, und sie sollen erfahren irgendwann, daß die Liebe in neuen Kleidern wiederkomme.

Bitten wir um Zeit, um ein neues Fuder Zeit. Wofür willst du ein neues Jahr? Der Herr der Zeit ist so in Not, aller Jammer ist doch sein Dilemma. Bitten wir um ein neues Fuder Zeit, die wichtigste aller Gaben, noch vor Gesundheit. Bitten wir um Möglichkeiten, auch zur Güte. Du dankst fürs ablaufende Jahr und begehrst weitere Zeit. Doch, du will einen neuen Kalender, mit neuem Frühling, sommerlichen Spielen, herbstlichem Blätterfallen. Und einen Sack voll Tage für Fleiß und Trost und die Süße des Schlafes, und den Köcher voll Jetzt, lauter unbeugsame Augenblicke, einzigartige Schöpfungen. Gnade uns, Gott Amen.

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