Keitumer Predigten Traugott Giesen 28.04.2002
Das Hohelied der Liebe
1. Korinther 13:Ja, die Liebe ist langmütig und freundlich, sie eifert nicht, sie lässt sich nicht erbittern. Aber Paulus scheint die drängenden Anteile der Liebe etwas verdeckt zu haben. Den Anderen auch mal schütteln, ihm die Meinung sagen, gehört dazu und sich nicht ausbeuten lassen, erstens weil man dazu keine Lust hat, zweitens weil man den andern nur zum Mies-Sein verleitet. Liebe erträgt nur, wenn es dem andern zugut ist, und dann auch nicht immer. Den lieben, der einen in Bosheit unglücklich gemacht hat ist übermenschlich. Und den lieben, der aus Liebe einen unglücklich gemacht, - das zu erwarten hat keiner ein Recht. Lieben sollst du den Nächsten wie dich selbst - nicht mehr, nicht weniger - das ist die Kunst. Also auch mal dulden, wenn es dem Nächsten gut ist, klar, also ihm Zeit schafft, aber bedingungslos den unteren Weg gehen. Es kann sein, dass eine Liebe das muß, und die andere muß es nicht. Wahrscheinlich haben die Frauen mehr geliebt, bisher. Rilke sagte: "Die Frauen haben Jahrhunderte lang die ganze Liebe geleistet, sie haben immer den vollen Dialog gespielt, beide Teile. Denn der Mann hat nur nachgesprochen und schlecht. Und hat ihnen das Erlernen schwer gemacht mit seiner Zerstreutheit, mit seiner Nachlässigkeit, mit seiner Eifersucht...Und sie haben trotzdem ausgeharrt Tag und Nacht und haben zugenommen an Liebe und Elend." Musil nennt die Frauenliebe die "vulkanische Stelle, von deren Wärme alles lebt, was auf der Erdoberfläche blüht." - obwohl es da auch viel Krankhaftes gibt. Und nicht Liebe ist, sondern ein Sich-Selber-Aufblasen, man möchte zu gern der von diesem Menschen Geliebte sein, ob der das will oder nicht.
Liebe ist heilig, ist Gottes Stoff. Sie hört nicht auf, weil Gott nicht aufhört. Aber uns kann sie ausgehen. Wir können liebeleer werden, alle Berührung kommt an als Wärmeverlust, alles Sichkümmern als Übergriff. All unser Lieben bleibt Stückwerk, wie unsere anderen Begabungen auch: Wissen, Überzeugen, Erkenntnis - alles Zeitliche, Irdische ist vergänglich, ist bruchstückhaft, schnell ermüdbar. Doch als Sehnsucht bleibt die Liebe - sie treibt uns an, hält uns in Suchbewegung. Etwas in uns zieht uns magnetisch nach vorn, als gingen wir auf ein großes Geliebtsein zu. Wir hoffen auf eine Art von Vollkommenheit, die uns mit einhüllt und heilt. Sie ist die unvergängliche Liebe, Gott selbst. Liebe ist Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden, Anerkanntwerden und Anerkennen als einzigartig wunderbar. Das gelingt jetzt nur schemenhaft. Wie in einem beschlagenen Spiegel sehen wir einander nur in Umrissen, durch Ablenkungen und Übertragungen verdünnt, lieben wir den anderen nicht als Einzigartigen, sondern eher als Verlängerung von Vater, Mutter, Bruder, Schwester, als Ergänzung eines anderen geliebten Menschen, oder als das Abbild, wie man selbst mal war. Wir tun auch Gutes dem Nächsten als Gattungswesen, weil es ein Mensch, irgendein Mensch ist, wir genießen den anderen auch, weil wir die Gesamtheit des anderen Geschlechts auf ein einziges geliebtes Wesen beziehen.
Dann aber werden wir erkannt, anerkannt, geliebt
von Angesicht zu Angesicht. Wie mich Gott schon seit immer meinte, so werde
ich mich sehen: entpuppt, entwickelt, geheilt. Von Angesicht zu Angesicht
mit Gott werde ich vollkommen. Und vollkommen lieben. Davon einen Hauch schon
jetzt leben, ist unser Auftrag. Liebe irdisch, ist den andern schon zu ahnen
als Bruchstück Gottes in seiner einzigartigen Wunderbarkeit. Nach Martin
Walsers Wort "Der Mund des Gastes macht den Wein gut." Kann auch gelten:
Der Kuß des Nächsten macht mich gut. Oder anders: Dein Lieben
macht mich mir lieb. Jedem sei ein Mensch gewünscht, von dem er sagen
kann:" Ich liebe dich, wie du bist, und ich liebe mich, wie ich bin, wenn
ich bei dir bin."
Die Liebesumarmung ist uns Menschen geschenkt als eine intensive Erfahrung,
mit dem geliebten Menschen ein Ganzes zu werden. Wenn es glückt mit
beiden, machen sie einen Weg in die Unsterblichkeit (Jaques Lacan) - sagt
man. Aber diese eine Schale aus Zweien hält nur kurze Zeit, dann muß
jedes wieder zu sich selbst kommen.- Unsere Abbildungen von Ganzheit sind
Anfänge, gelobt seien die Anfänge. Auch ein Abbild für einen
Köper ist ein Chor, ein Orchester, - diese Klangkörper können
auch nur kurz eins sein, aber dann sind sie auch Vorgeschmack auf den Himmel.
Aber es ist noch vieles andere schwingende
Schöne Beispiel für ein gutes Ganzes, das sich hier schon zeigt:
Das Enkelkind ruft Oma an. "Ich brauche keinen Schnuller mehr, Oma!" Und
Oma: "Ganz schön, ich freue mich mit". "Und Mama hat mir einen Tuschkasten
gekauft. Und ich habe ein schönes Bild gemalt." Oma: "Schickst du das
mir?" "Nein, Oma, das behalte ich selber." "Aber vielleicht malst du mir
ja ein neues Bild?" "Ja, das kann ich machen."
Vielfache sprüht hier Liebe: 1. Die Lust des Enkels, seinen Fortschritt
mitzuteilen. 2. ein angemessenes Geschenk: ein Tuschkasten und damit das
Versprechen, mit dem Kind etwas zu machen. 3. Oma zeigt Ihr Interesse am
ersten Bild. 4. Die Selbstachtung des Kindes, es weiß sich zu behaupten,
kann sich abgrenzen. 5. Die Oma schnackt dem Kind seinen Willen nicht ab,
sie nimmt den Willen, das Bild selbst behalten zu wollen, nicht als Liebesentzug,
sondern freut sich an dem Eigenwillen des Kindes und führt die Enkelin
zum nächsten Projekt.
Das Erste und Letzte, das Höchste und Entscheidende der Liebe ist der
Sinn füreinander - der unerklärliche , unauffindbare, geheimnisvolle
Gund, warum gerade diese zwei Menschen beieinanderstehen und zueinander halten.
Wir leben auf im Menschen, den wir lieben. Und wer liebt, kennt die verborgenen
Schätze, an denen ihm Gott schon Anteil gibt (nach Zenta Maurina).
Amen.