Keitumer Predigten   Traugott Giesen   Himmelfahrt 24.05.2001
 

Du stellst meine Füße auf weiten Raum (Psalm 31,9 - Kirchentagslosung 2001)

Es tut gut, wie wir die Sätze der Christenheit bewahren, auch stellvertretend für andere. Wir können sie noch singen, weil sie uns gesungen wurden. Wichtig ist, "jenseits aller Blässe des offiziellen Kirchentums ist die Welt eine christuserfüllte Welt." Dieser wunderbare Satz von Rosenstock-Hussey ist wichtig. Jenseits der Blässe allen Kirchentums, aber auch mitten in aller Dramatik, aller Strapaze, aller Mühsal, allen Modulen, allen e-mails und Internetaktivitäten, - in all diesem herrscht Jesus Christus als König - und wir brauchen uns den Kopf nicht darüber zu zerbrechen, wie Jesus Christus und Gott zusammengehören. Der eine hält mehr von Gott, Vater, Mutter des Lebendigen, der andere mehr von Bruder Christus.

Damit ist gemeint: Gott und Jesus Christus als Modell, als Bild für Nähe ist ja aus menschlichen Bezügen genommen. Und dieses Bild ist vor 2000 Jahren das intensivste Muster gewesen für Identität, für Einigkeit, für Eins-Sein. Wenn der Sohn kommt und treibt das Geld ein, ist es als wäre der Chef selber da. Heute ist zum Glück die biologische Reihenfolge nicht mehr das Entscheidende. Heute wird man doch sagen: das Paar, Mann-Frau oder intensive Connection, - Co - mein Co-Partner, wer auch immer. Also, das Muster Gott und Sohn ist für uns als Töchter ja unerträglich. Wo bleibt die Mutter, wo bleiben die Töchter? Darum: Gott meint doch Vater/Mutter des Lebens. Und Sohn meint doch Sohn/Tochter des Lebens. Also die Beziehung wird geklärt. Gott klärt in Jesus Christus die Beziehung zu ihm: nämlich, dass wir Kinder Gottes sind. Nicht dass wir Söhne sind, sondern dass wir Kinder Gottes und untereinander Geschwister sind. Nur früher zählten die Töchter eben nicht so. Aber die haben kräftig aufgeholt. Auch wegen Christus, der so demokratisch, gleichberechtigt von den Menschen gesprochen hat. Die Kinder Gottes, die ganze Menschheit ist Gottes Haus. - Das ist eine Übersetzung von Christi Himmelfahrt.

Himmelfahrt meint ja, in Jesus Christus wird der Raum eingenommen, und wo früher die Menschen dachten, da wär' ein leerer Raum, macht Jesus klar: das ist Gottes Raum. Nicht so sehr geographisch, also auf Entfernung gedacht. Es gibt ja auch einen Zeitraum, einen Machtraum. Und davon sprechen die Christen deutlich. Die Auferstehung Jesu Christi im Bild von Himmelfahrt meint nicht eine astronomische Reise. Der Himmel gehört Gott, ist Gottes Zuhause. Himmel und Erde ist Gottes Zuhause. Vielleicht der Himmel das Zuhause, und die Erde der Schemel seiner Füße, so sagt das mal der König Salomo, als die Menschen meinten, sie könnten Gott im Himmel kasernieren. Wie wissen ja, dass Gott im Ganzen wohnt und die Erde sein Schemel ist.

Das ist das eine: Macht über den Tod. Himmelfahrt wird etwas anderes geklärt: Macht über den Raum. Der Raum trennt mich von Gott, und Pfingsten, die dritte Schicht des Osterwunders: der Heilige Geist des Jesus Christus beflügelt uns. Die Beute aus der Himmelfahrt Jesu Christi, die Beute, dass Gott die Züge des Jesu Christi anhat: "Fragst Du wer er ist, der heißt Jesu Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott, das Feld muß er behalten." In diesem Luther-Text steckt ja die Identität zwischen Gott und Jesus Christus, und wir dürfen Gott mit diesem Antlitz des Jesus sehen. Ewiggültig, Liebe, Jesus als Unterpfand: Gott liebt dich und Gott braucht dich, darum lebst du.

Die Beute dieser Gewißheit, dass Gott Christi Züge hat, ist: "Du stellst meine Füße auf weiten Raum." (Ps. 31,9) Das ist die Losung des kommenden Frankfurter Kirchentags, und dieser Raum, auf den Gott unsere Füße stellt wird mit der Himmelfahrt unermeßlich ausgeweitet. Seit Christi Himmelfahrt ist das Weltall eingemeindet in Gottes Haus - will sagen: der Tod reißt uns nicht in eine Leere, sondern hält uns im Raum der Liebe. Wohin wir auch kommen: Gott, Christus ist schon da.

" Du stellst meine Füße auf weiten Raum" - unser kleiner Raum, mit dem alles anfing, ist uns noch ganz nah, wenn wir Kinder haben, wenn wir Enkel haben, Nichten oder Neffen, - der Raum ist uns noch nah, den wir an den Händen von Vater, Mutter oder Oma anfingen uns zu erobern, mit kleinen Füßchen, Schritt für Schritt. Und wir erinnern uns, wie wir selber anfingen zu laufen oder haben es dann im Blick, wie wir uns den Raum erobern, das eine Zimmer, dann den Flur, dann die Wohnung, und dann zum ersten Mal aus der Tür raus, ins Treppenhaus, das ganze Haus, vor der Tür, der Garten und der Weg zum Kindergarten auf eigenen Füßen, und dann Schule, und dann zog es uns weg von Zuhause, es zog uns mehr oder weniger weit weg, und wir fanden weiten Raum. Freie Weide, großes Wissen, lernten geschickt sein mit anderen, und wir schreiten noch immer aus den Raum der Freiheit und der Liebe und stoßen immer noch an Mauern und setzen anderen Mauern aus Sätzen wie diese: "Das gehört sich nicht" oder "Das ist nicht deins" oder "Dazu fehlt Ihnen die Berechtigung" oder kein grünes Licht von der Bank oder oder oder...

Ja, was engt dich ein? Was hält dich kurz, was macht dich ohnmächtig? Was lähmt dich? Was hält deine Seele gefangen, macht dich unbeweglich, hindert dich am großen Sprung nach vorne? Vielleicht bist du ein glückliches Huhn, und ich will dir einreden, ein unglücklicher Adler zu sein, der liebend gern in die Lüfte stiege.

Jesus sagt dem an der Zollschranke: "Folge mir nach", und er steht auf. Jesus sagt Simon und Andreas am See Genezareth: "Geht mit mir." und sie lassen die Netze und folgen ihm nach und wurden die Apostel für eine ganze Erde. Ja, sag  nicht: wenn Jesus käme, ich würde alles stehen lassen. Er ist ja da! "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." sagt er und stellt unsere Füße auf weiten Raum.

Wo siehst du dich eingezwängt, siehst du dich beengt, siehst du dich eng gemacht? Wo wünschst du dir weiten Raum für? Vielleicht brauche ich mehr Mut, mich unbeliebt zu machen, mehr Zeit für mich zu nehmen, fischen zu gehen oder lesen. Oder mehr Kraft zu haben für Mühselige und Beladene. Vielleicht muß ich noch mehr den Einzelnen sehen, muß den weiten Raum bekommen, ein weites Herz. Und du? Denk' nach, was ist das, wozu du weiten Raum brauchst. Der weite Raum ist ja da, du mußt ihn nur ausschreiten. Verknüpfen, lieben, schön machen, bestellen, wie man ein Feld bestellt, befreunden, ermutigen, Erstarrung auflösen, auflösen auch die Angst vor möglicher Schuld, die macht uns ja oft so starr, so dass wir uns gar nicht regen aus Angst, was falsch zu machen. Dabei: wie oft sollen wir vergeben? Sieben mal siebzig mal, sagt Jesus. Da wissen wir doch, wieviel Gott uns vergibt, das sieht ja so aus, als wäre uns schon vergeben die Sünde, die wir noch tun. Vielleicht ist das unsere größte Sünde: aus Angst was falsch zu machen, nichts zu machen. Gut, einer hat uns beleidigt, eine Ehe ist kaputt gegangen, ein Arbeitsverhältnis ist zerbrochen. Und was ist aus uns geworden? Haben wir uns einen Panzer aus Enttäuschung angelegt? Dass wir gar nicht mehr weiten Raum wollen, sondern die Tür hinter uns zumachen und in Ruhe gelassen werden wollen?

Der weite Raum, die Freiheit, die Gott uns einräumt: Mensch, mach' doch was falsch, Hauptsache, du machst was, du bist ein Kind Gottes. Liebe und tu' was du willst, liebe und hilf, besorge Glück, und was an Irrtum dir dabei unterkommt ist doch schon vergeben. Dieser weite Raum, du brauchst deine Ehre nicht aus einem guten Ruf oder Korrektsein beschaffen, sondern du bist gut. Bei Jesaja 63,8 heißt es: "Sie sind ja mein Volk, meine Söhne, die nicht falsch sind." Das eröffnet dir eine weiten Raum an Zuversicht und auch an Bindungsfähigkeit und Gesprächspotenz. Erzähl', rede mit Menschen, mach' dein Ohr auf, hör' zu, lock', dass Menschen sich mit dir austauschen. Aus dem Panzer der Erstarrung ausbrechen, Befreundung, auch Supervision, Gesprächstherapie. Was da an unendlich Gutem geschieht, weil uns so viel verschlossen worden ist und wir oft nicht mehr dem Menschen, der uns am nächsten steht und liegt, sagen, wie es uns um's Herz ist. Nein: diesen Schattenpanzer aus Resignation uns abschälen lassen durch Wahrnehmung von Dankbarkeit, von Merken, was ich kann, sich auch neu binden können, neue Arbeit anstreben können, und Nachbarn wieder einladen und bitten, suchen, anklopfen.

Jetzt laßt uns wieder ein Stück Mut haben, in unseren Träumen sind wir ja Giganten. Nochmal sich auf weiten Raum stellen lassen, wieder den Durst nach Nähe und Gemeinschaft nähren, und draußen sieh: Freundesland.

Amen.

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