Keitumer Predigten Traugott
Giesen 25.03.2001
Matthäus 15, 21ff: Die kanaanäische
Frau
Und Jesus kam in die Gegend von Tyrus.
Da trat eine kanaanäische Frau auf ihn
zu und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter
wird von einem bösen Geist fürchterlich geplagt.
Und er antwortete: Ich bin nur gesandt zu den
verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr
Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
Sie sprach: Und doch, Herr, fressen die Hunde
die Brosamen, die von der Herren Tische fallen.
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau,
dein Glaube ist gross. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde
gesund zu derselben Stunde.
Ich habe über diesen Text gern hinweggelesen.
Ich fand unsern Jesus engstirnig. So exklusiv auf Israel seinen Dienst
beschränkt zu halten, das schien mir fraglich. Aber diese gutgemeinte
Empörung verstellte mir die Grösse zu der Jesus auflief, anhand
einer Frau, die Jesus Erbarmen abrang. Jesus erkannte an: Frau, dein Glaube
ist gross. Beinahe hätte er gesagt, grösser als meiner. Er hat
ihr geholfen und hat sich was angenommen, blieb nicht, wie er war.
Das ist mehr, als immer schon der Grösste gewesen zu sein. In der Wahrheit
zunehmen ist wahrhaftig gross.
Diese Geschichte hat der Evangelist Matthäus,
ich sage mal komponiert für ein aktuelles Problem der ersten,
zweiten Christengeneration in und um Jerusalem: was ist mit den andern
Volksgruppen, den anders an Gott glaubenden, den Samaritanern, denen griechischer
Herkunft, mit den Kanaanitern? Hat Christus denen auch was zu melden,
gehört der Gott der christlichen Gemeinde allen Menschen? Was
ist mit der Grenze der Konfessionen, was ist mit den Fremden?
Vor dieser Geschichte hebt Jesus die Grenze
von reinen und unreinen Speisen auf wir wissen nicht, was für
ein Drama sich um diese Unterscheidung von koscher und verworfen rankt. Das
Verbot von Schweinefleisch ist nur eins für schriftgehorsame Juden,
aber auch für Moslems noch immer.
Jesus sagt hart (Matthäus 15, 11): was
zum Munde reingeht macht nicht unrein; auch mit ungewaschenen Händen
essen, macht nicht unrein (Matthäus 15, 20). Die Dinge, die den Menschen
unrein machen, kommen aus dem Mund, aus dem Herzen als die bösen
Gedanken. Da wird die Trennung in religiös passende und unpassende Speisen
doch hinfällig. Ebenso vorbei ist damit die Idee, wir könnten durch
äussere Sauberkeit innere Reinheit herstellen. Echt knallhart, wie Jesus
mit einem Wort etwa allem Waschzwang den Boden entzieht. Du kannst nicht
von sauberen Händen auf ein reines Herz schliessen. Und doch
sollte man über die Reinheit mit sauberen Fingernägeln reden, davon
ab.
Also heute die Geschichte von Jesus und der
Kanaaniterin, die eine andere Konfession hat. Matthäus erzählt
sie, um seiner damaligen Gemeinde klarzumachen schon Jesus begann
wenn auch zögernd, die Schranke zwischen Juden und andern Religionen
aufzuheben also alle sind Gottes Kinder. Nicht nur die frommen Juden
bekommen besseren Zugang zu Gott sondern alle Menschen.
Die ersten Schritte dazu hat Jesus selbst getan.
Da war zum Beispiel eine Frau, eine Frau leidet, sie leidet am Leid ihrer
Tochter. Wohl das innigste Leid, zu dem Menschen genötigt sind: das
Unglücklichsein ihres Kindes, manchmal auch ihres Enkels; wenn die Tochter
einem haltlosen Spieler verfällt; wenn der ansonsten schüchterne
Sohn bei den Rechtsextremen scheinbar aufblüht und mit gewaltsamen Mutproben
sich ein stiefelpolterndes Grossmannsgehabe anzüchtet; wenn der Enkel
einer Sucht verfällt.
Hier eine Frau, die ihre Tochter in Klauen
böser Geister weiss. Tochter ist nicht mehr zu erreichen, ist besetzt
von fremdem Willen, zum Gehorsam dressiert, sie scheint zu funktionieren
wie ein Gerät, eine Marionette, deren Schwerpunkt von fremder Macht
und von aussen gesteuert wird.
Die Mutter erleidet die Ohnmacht, stärker
als wenn sie selbst die Besetzte wäre. Ein Wesen, das meinem Schutz
anvertraut ist, kommt zu Schaden. Was hat es in den Wahn getrieben, nicht
schön zu sein, oder es will erzwingen immer Kind zu bleiben, oder,
oder...
Sie ertrinkt in Angst und hat den Denkzwang,
dass nur ein Holzwerden ihr Auftrieb gibt; sie überlebt, indem sie ganze
Etagen ihres Ichs untergehen lässt. Oder sie verletzt sich, um sich
zu spüren, meint nur so gewalttätig gegen sich selbst ihren Willen,
ihre Willensstärke, die Reste ihres bedrohten Ichs zusammenhalten zu
können.
Die Mutter kann die Tochter nicht erreichen,
sie betet sich und Kind in ein liebendes Energiefeld hinein. Dies Bitten
für den scheinbar unrettbar Verlorenen, dies zu Gott beten müssen
weil man nichts kann, und nicht bereit sein kann zu versteinen, ist
urmenschlich.
Wir müssen beten es ist unsere Art,
Zukunft herbeizuwünschen, wo doch keine Aussicht auf Natur oder Technik
besteht. Wir müssen hoffen, müssen Flügel wachsen sehen, wo
alles bleiern erstarrt. Wir müssen beten dem zugut, dem wir nicht helfen
können, und doch können wir ihn nicht alleine lassen, müssen
für ihn aufbieten, was höher ist als all unsere Vernunft. Beten
ist fast ein Beweis, dass es Gott gibt; jedenfalls ein Beweis, dass
wir zum hartnäckigem Hoffen gemacht sind, dass Gott ist. Mit einem Gebet
als Stütze die Hilflosigkeit aushalten.
So betet die Mutter für ihr Kind, auch
weil sie es nicht erreichen kann, betet einen Zusammenhang herbei, der sie
beide hält, und ob das ordentlich ist, ehrbar, normal, gesittet, theologisch
korrekt, ist ihr völlig egal.
Sie hat von Jesus gehört, einem Heilenden
Menschen, Sohn Davids, in dem Gott nah zu sein scheint. Sie ruft ihn an,
unterwürfig, aufdringlich, hinterherlaufend: Hab Erbarmen mit
mir, meine Tochter wird von Dämonen schrecklich gequält.
Sie bekommt ihre Bitte abgeschlagen:
Ich bin zu anderen geschickt. Ich habe nicht
genug Kraft für alle. Es gibt welche, sie sind wichtiger, haben Vorrechte,
Anrechtsscheine auf die Güte Gottes, seit ihrer Eltern Tage. Sie schreit
und betet zu einem Heilenden Menschen, in dem ihr Gott nah zu sein scheint.
Und Jesus greift zu einem drastischen, abschreckenden Vergleich: Man gibt
den Hunden nicht, was den Kindern zusteht.
Die Frau rebelliert nicht. Sie nimmt hin, dass
es Erste und Zweite gibt, Oben und Unten. Sie spielt in der falschen Liga,
sie nimmt es Jesus nicht übel, sie ist eben eine Ausländerin, Juden
sind die Kinder, denen das Brot gehört dann kann sie kein Brot
verlangen.
Aber doch essen die Hündlein von
den Brosamen, die von der Herren Tische fallen. Da bekommt Jesus solche
Augen. Er schaut sie an, erkennt wie sie kämpft ähnlich
wie er sich abmüht um die verlorenen Schafe Israels. Jesus nennt ihren
Glauben gross. Er sieht sie kämpfen für das ihr Anvertraute, wie
er für die ihm Anvertrauten. Er sieht sie beide voll konzentriert auf
ihre Nächsten, ihre Leidenden.
Frau, dein Glaube ist gross! Deine Liebe ist
gross, du gehst dafür über Mauern. Du sollst recht bekommen.
Jesus sieht, wie sie ein besseres Wissen hat
von ihm; sie hält mehr von ihm als er von sich; sie sieht sein Reservoir
voller als er selbst sie sieht seinen Glanz auch noch strahlen über
die am Rande. So wird ihr Glaube an Jesus ein Double des Glaubens Jesu an
Gott. Jesus wird gewahr:
Ich glaube doch an den Gott, den der Himmel
und aller Himmel Himmel nicht fassen können (1. Könige 8, 27).
Dann passiert auch das Leid dieser Frau in Gott; auch die Irrung dieser Tochter
passiert im Hause des Herrn; auch die Tränen eines Kindes um ihren
gestorbenen Hund sind Tränen auf Gottes Angesicht. Jeder Schmerz spielt
sich ab in Gott, er ist doch das Gewissen der Welt, das Schmerzarchiv des
Lebens und das Glückspotential der Welt Gott die Fülle aller
guten Möglichkeiten. Da ist auch Heilkraft für ihr Kind drin,
also:
Dir geschehe, wie du willst! sagt Jesus.
Und das ist nicht: Füg dich, halt ein wenig
stille, Gott macht keine Fehler. Kein Hinweis aufs Vaterunser: Dein
Wille geschehe die Bitte wird ja oft als Zähmung des
Eigenwillens verstanden. Was auch nötig ist zu seiner Zeit, aber mehr
ist ja der Sinn: Dein Wille geschehe bei uns, durch uns, mit uns, wenn es
sein muss auch gegen uns, auch gegen uns, ja.
Aber Jesus bestärkt jetzt die Mutter: Dir
geschehe dein Wille. Jesus betet mit ihr, dass ihr Wunsch Wirklichkeit wird.
Und er wird es. Wie weggeblasen kann gerade das Dämonische sein.
Unendlich viele Gebete wurden erhört. Die
Wirklichkeit bequemte sich unsern Bedürfnissen an. Oft auch müssen
wir uns der Wirklichkeit beugen. Und dann nach Krisen und Tragödien
kann ein Neues werden.
Jesus hat uns gesandt, Kranke zu heilen und
Dämonen auszutreiben, Besessenheiten zu lösen.
Wieviel Kirche, Frömmigkeit, christliche
Glaubenssätze sind Voraussetzung, um Heilung in die Wege zu leiten?
Das Bedürfen, das Bitten ist Glaube genug; Jesus sagt letztlich: Du
gehörst schon zu Gott, wenn du ihn brauchst.
Einer Frau mit Frauenleiden genügte ein
Zipfel von Jesu Gewand. Sie wusste: wenn ich nur seine Kleider berühren
könnte, so würde ich gesund (Matthäus 9, 20ff).
Anders gesagt: Wir, die Jünger Jesu heute,
uns trägt der Glaube, dass Gott zuständig ist für alles. Darum
bietet Gott uns auf, die Hilfe zu bringen. Er will Freude für alle;
damit sind wir zuständig, die ärgsten Hindernisse aus dem Weg zu
räumen. Wo Hass und Kälte war, soll was wachsen in Richtung Friede.
Das ist dein, mein Glaube, unser Glaubenskleid, andere sollen einen Zipfel
davon zu fassen kriegen, und schon mit eingeknüpft sein in das rettende
Gewebe. Amen.