Keitumer Predigten
Traugott Giesen 29.10.2000
Der Mut des Glaubens
Wie kommt es zum Glauben? Man muss wohl
einfach springen, wie in eine Liebe, sich tragen lassen von einer Gewissheit
� es könnte wahr sein, das �Von guten Mächten wunderbar geborgen.�
Ob von Kindheit an mit christlichem Glauben grossgezogen oder ob man als
Erwachsener sein Erlebnis geschenkt bekam, die Probe kommt. Und dann, ob
uns da Heiliger Geist trägt über die Abgründe oder uns durch
die finsteren Täler hindurchschleift, bis wir einfach nur zweifeln
an all den Zweifeln und in dieses wissende Unbekümmertsein geschleudert
werden: Ich in guten Händen, auch wenn die jetzt hart und schwielig
zupacken; durch alle Sachen und Verknüpfungen hindurch stürze
ich in Gottes Hand, in Gottes Schoss.
Ein starkes inneres Bild für diesen
Sprung ins Ungewisse ist die Geschichte vom sinkenden Petrus, vorgebildet
in Psalm 30: �Gott, ich preise Dich: denn Du hast mich aus der Tiefe gezogen...
du hast mich von den Toten heraufgeholt... du hast meine Klage verwandelt
in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit
Freude gegürtet.� Hier das Bild dazu (Matthäus-Ev. 14. 23 ff):
Jesus stieg allein auf einen Berg, um
zu beten; es war schon Abend.
Die Jünger waren mit dem Boot vorausgefahren,
es war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn
der Wind stand ihm entgegen.
Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus
zu ihnen und ging auf dem See.
Und als ihn die Jünger sahen auf
dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien
vor Furcht.
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und
sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
Petrus aber antwortete ihm und sprach:
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg
aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
Als er aber den starken Wind sah, erschrak
er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!
Jesus aber streckte sogleich die Hand
aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast
du gezweifelt?
Und sie traten in das Boot, und der Wind
legte sich.
Sich auf Gott verlassen, heisst nicht:
sich verlassen, die Welt aufgeben. Im Gegenteil: Vernunft und Geschick
und leistungsfähig sein bekommen ihren Platz angewiesen. � Autofahren
im Vertrauen auf Gott heisst gerade, hellwach, höchst geschickt mit
bestmöglicher Technik, die Strasse rauf und runter mit Vorsicht und
Rücksicht im Blick, für die andern mitdenken, ihnen eine Lücke
lassen, mit Nächstenliebe fahren und zügig, im Fluss � das Fliessen
in Gottes Hand denken, in Gewissheit ich bin gehalten.
Worin liegt der Mut, sich auf Gott zu
verlassen? Von Jesus Jüngern heisst es: �Sie verliessen alles und
folgten ihm nach� (Lukas 5, 11). Aber dieses direkte, mit dem leiblichen
Jesus Gehen und dafür alles stehen und liegen lassen, geht ja nicht.
Mag sein, dass Jesus in stürmischer Nacht seinen Jüngern auf
dem Meer erschien und Petrus war so verwegen, seinen Mut spielen zu lassen:
�Ruf mich raus aus dem Schiff, Herr, dann komme ich.� Aber heute werde
ich doch rausgerufen, dem gemobbten Kollegen beizustehen, Fiesheit zu benennen,
aus der Deckung, wo man geachtet ist, herauszutreten und allein einzustehen
für das, was mir wahr ist.
Jesus nachfolgen heisst heute, dem in
Not Nächster zu werden, Phantasie und Einfühlung ihm geben. Genug
in uns widerstrebt dem, Zeit, Kraft, Geld abzugeben für jemand Fremdes.
Den Anderen mir so an die Seite zu glauben, dass sein Glück und mein
Glück an einem Leib passiert, dafür brauche ich Mut, dies Ein-Leib-sein
zu glauben. Von Natur aus macht Selbstessen stark, aber zum Notleidenden
sich zu bekehren, das fordert Mut.
Mut brauche ich auch zum Glauben, dass
Gott ist, dass die Energie ist, die mich will, mich liebt und braucht.
Denn es ist damit ein ungeheurer Anspruch verbunden. Ich soll für
ein Gutsein der Welt einstehen? Ich soll die Auferstehung von den Toten
ins Alltägliche übersetzen, ich weiss einfach innerhalb des Glaubens
zuviel von der Leidenschaft Gottes, seine Schöpfung zum Lob zu überreden.
� Und was haben wir alle Lust am Leben rumzumäkeln und was für
eine Ansprüchlichkeit haben wir entwickelt � ist da nicht Gott ein
Knecht aller Dinge und wir seine Prinzen, die meinen, es wäre doch
Gottes Metier, Glück zu beschaffen?
Jedes Detail ist Teil von einem Ganzen;
das glauben verpflichtet zu einem fürsorglichen Umgang mit allem und
jedem. Der Glaube nimmt mich ran: Du willst, wenn du kannst, du bist nicht
zum Zeitvertreib auf diese Erde geschickt.
Der Mut des Glaubens verlangt nicht ein
Opfer der Vernunft, nicht einen treuherzigen und bärbeissigen Untertanenglaube,
nicht Selbstverstümmelung, nicht Unterwerfung des Geistes (Nietzsche).
Der wahre christliche Glaube ist Hilfe gegen die grösste Menschengefahr
� den ausbrechenden Irrsinn, die Freude am Menschenunverstand; auch Hilfe
gegen Wissenschaften, die in blinder Freizügigkeit zersplittern und
lösen alles Festgeglaubte; auch Hilfe gegen die grossartig verächtliche
Geldwirtschaft, die alle Bedenken wegreisst; und Hilfe gegen die blödsinnige
Arglosigkeit und Vertrauensseligkeit der modernen Ideen, im Spinnennest
der Zwecke wären wir gut aufgehoben; Hilfe gegen den Zynismus, das
Notwendige lieben und an gar nichts mehr glauben (Nietzsche z. T.).
Glaube an Gott versteht das Leben auf
bestimmte Weise. Glaube ich meinen Vater als höchste Autorität
oder mein Lustempfinden als die moralische Instanz oder an Geld als der
Sinn, dann weiss ich, wem ich gehorche. Vielleicht ist das erste Gebot
schon darum ein Heilmittel für Geist und Vernunft, weil nichts in
der Welt zum Gott reicht, allein schon diese Alarmfunktion des Glaubens
ist rettend: Ich bin nicht Gott, ich bin sterblich, ich brauche auch Vergebung
� ist an jede Stirn geschrieben. Das: �Man muss Gott mehr gehorchen als
den Menschen� rückt die Verhältnisse zurecht. Aber wer öffnet
uns dazu die Augen? Wir brauchen Heiligen Geist. Sind wir blöde und
in uns selbst verkrallt, muss uns der Feueratem des Jesus durchrütteln.
Und tatsächlich geschehen uns diese Wolkenbrüche von Heiligem
Geist, zwei- dreimal im Leben � dann werden wir neu geboren und werden
in ein neues Muster von Freude geschüttelt.
Dann hat uns der Mut des Glaubens. Du
magst lange ein schläfrig brummig, behäbiges Christsein gepflegt
haben, auf einmal steht es neben dir, der Heilige Geist bekehrt dich zu
einer wunderbaren wachen Menschlichkeit; du strahlst, du betreibst das
Lebens hellwach mit, dass mehr Glück sei, weniger Leid. Und in besten
Augenblicken glaubst du eine göttliche Schwungkraft in dir am Werk.
Du brauchst nicht besonders viel Entscheidung
, verweiger nur die Anerkennung nicht dieser Ahnung, dass Gott mit
dir zugange ist. Dann kannst du auch, wie Petrus die Wasser der Angst betreten
und wirst getragen. Sperr dich nur nicht ein in dein System, tritt aus
dem Boot deiner Gesetze, die dir vermeintlich Sicherheit geben aber dich
nur gefangen halten.. Du wirst gehen können auf den Wassern.
Du, sei guten Mutes, du bist Teilhaber
am herrlichen Projekt Leben, das schaffe in dir der Heilige Geist. Und
gib dich aus ins Leben, nimm Leben ein. Christlich glauben, heisst von
den unerschöpflichen Quellen des Mutes trinken, dass du in einem guten
Zusammenhang bist, und die Verwundungen heil werden sollen. Du bist selbst
eine Ressource, Quelle des Guten, ein Depot an Gottesenergie, an lebendigem
Geist. Und darum lass Gesetzlichkeit, gib mehr als du musst, dir ist ja
auch mehr anvertraut.
Selig, die geistig arm sind, denn das
Himmelreich ist ihres (Matthäus 5, 3), ist auch gesagt aus Erfahrung,
dass gerade Geistbegabte vom Dünkel verfolgt sind, sie seien erhabenere
Menschen. Paulus erlebte den urchristlichen Enthusiasmus in Korinth und
sagte: Ich will lieber in der Gemeinde fünf Worte reden mit Verstand
als tausend Worte in Himmelssprache, die keiner versteht (1. Korinther
14, 19). � Was in christlichen Gemeinschaften an Tyrannei geboten wird,
an Vorschriften und Menschenverehrung und Verachtung, hat viel Glaube entmutigt.
Aber wir bleiben ja dem Heiligen Geist
ausgesetzt, er ist das Fluidum von Verstehen. Heiliger Geist stimmt die
Seelen füreinander ein und klärt die Vernunft und kommt als Geist
der Liebe. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die Liebe treibt die
Furcht aus. Heiliger Geist lässt Sprache finden, die nicht Furcht
macht durch Drohen und Rechtbehaltenwollen. Der Sprache verdanken wir Orientierung
und Handlungsfähigkeit in einer offenen und gefährlichen Welt;
die Sprache ist Gottes informativstes Medium an uns, lassen wir sie nicht
verkommen zu Werbeunbotschaften, Befehlen und Verlautbarungen. Miteinander
reden ohne zu ängsten, da ist Heiliger Geist in seinem Element.
Auch wenn du eng von dir denkst, � dein
Leben aufgeht in Arbeit, Machtstreben, Betriebsamkeit und der Abhängigkeit
von Sachgrössen, die du beobachten und benutzen musst; das Geistige
dir aber immer vorkommt mehr wie Wolken, die mit der Erde keinen Zusammenhang
haben (Musil), � auch dann, gerade dann zielt der Heilige Geist auf dich.
Gott, Heiliger Geist gebe dir den Mut
des Glaubens, strenge Hoffnung und das unbestechliche Gefühl der Dringlichkeit
für den Geist der Liebe. Amen.
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