Keitumer Predigten Traugott Giesen 02.07.2000&
Geborgenheit
Johannes-Ev. 14, 1.2: Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Ich sage euch: Ich gehe hin, euch Heimstatt zu bereiten.Eine junge Frau schrieb mir, sie könne all die Worte der Kirche
gut hören, aber Gefühle stellten sich nicht dazu ein. Die grossen
Worte Liebe, Freude, Schönheit, Gott, Nähe � die könne sie
zwar bedenken, aber Gefühl vermitteln sie ihr nicht.
Und ich versuchte zu erklären. Am Ende sagte sie, das Meiste habe
sie kalt gelassen � nur, dass ich mir etwas Zeit für sie genommen
hatte, das habe sie als schön empfunden.
Seitdem frage ich mich, was mein An-Gott-glauben für ein Gefühl
hat, und mir ist Geborgenheit an erster Stelle.
Aber Glaube und Gefühl � ist das eigentlich die richtige, die
wichtige Verknüpfung?
Andere Generationen haben mehr Wissen gehabt; der grosse Theologe Karl
Barth hat eine Kirchliche Dogmatik geschrieben von wohl 8000 Seiten. Das
Glaubenswissen stand genau wie Erdkunde oder Fremdsprachen auf dem Stundenplan.
Aber Wissen beschafft nicht, dass ich mich dem Wissen stelle. Man kann
viel Kenntnisse aus der Bibel haben und doch nicht ihren Geist atmen; man
mag die Lehrsätze der Christenheit aufsagen können, aber sagen
tun sie einem wenig. Predigten, die nicht zeigen was der Pastor damit zu
tun hat, Gottesdienste, die man besucht ohne teilzunehmen, Gebete, die
nicht tragen sondern erkälten � das alles auch gibt es auch. Ja, Wissen
ist der Weg. Aber ob ich ihn suche, ihn gehe, ihn mitbaue, das ist Gefühl.
Nehmt St. Severin: Sie ist voller Zeichen, mit Wissen beladen, Gottvater,
Jesus, das Kruzifix, das Auferstehungskreuz. Man muss die Zeichen lesen
können, damit sie mich informieren können.
Und doch ist schon das Gefühl ein warmes in dieser Kirche. Abgefärbt
hat der Flor der Trauer und die Blüten von Freude, der Duft von Dank,
Hauch von Sehnen, das Bittere vom Bitten um Vergebung, und etwas Glanz
von den Wonnen der Freisprechung ist hier, und viel Nachklingen ist hier.
Viele Gebete um Heilung und um Rückkehr haben einen Nimbus von Gehörtwerden
in dieser Kirche gelassen. Hier fühlt man: Du bist nicht allein �
die andern, die Verstorbenen, die kommenden Generationen sind nur eine
Papierwand weiter. � St. Severin hüllt in ein gutes Gefühl vor
und neben allem Wissen und Hören.
Es gibt Menschen, denen ist der Geruchsinn verloren gegangen. An diesem
Wort merke ich gerade, wie es auch heissen könnte, Geruchgefühl.
Gefühl und Sinne und Sinn sind beieinander. Wenn ich den Duft von
Erdbeeren nicht empfange � was sind Erdbeeren ohne ihren Duft � dann haben
sie doch keinen Sinn, für uns.
Es kommt wohl darauf an, Gott zu denken und zu fühlen. Denken
beschafft, dass ich mir das Wahre vorstelle. Fühlen beschafft, das
Gute zu empfinden, wie wilde Erdbeeren eben oder kühles Wasser auf
heisser Haut. Gefühl macht Lust oder Unlust.
Ich kann noch so viel vom Mangel in der Menschheit wissen, erst wenn
ich mit einem Menschen mitfühle, werde ich ihm und den Seinen den
Hunger stillen. Gefühl ist nicht ein schlaffes Irgendwie-fühlen,
sondern fährt in die Glieder, treibt an, kocht was hoch, setzt Denken
auf die Spur, passende Taten zu tun.
Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt
an mich! In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. � Wie klingt das,
was klingt in mir, dir an? Christus spricht: Euer Herz erschrecke nicht!
Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.
Ich sage euch: Ich gehe hin, euch Heimstatt zu bereiten.
Christus lass dir mal das Geheimwort für Rettung sein, einfach
alles Wissen stell zur Seite. Jetzt nur: Christus � window für Mitgemeintsein.
Wo Christus ist, da bin ich mit. Zu welch Schlachtrufen des Bösen
der Name Christus auch schon zerbrüllt wurde, du fühl �Jesus
Christus� den Bruder ab, den Seelenverwandten, Flamme der Liebe. Du, sieh
sein Bildnis, sanft, passioniert, klar: mit dem willst du sein, den zur
Freundschaft haben, dem die Füsse salben mit köstlicher Narde.
Ja, die Geschichten wissen gibt mehr Volumen, aber dies reicht schon erst
mal: Christus spricht zu dir, zu uns: Euer Herz erschrecke nicht!
Was macht uns erschrecken: Immer fühlen wir uns ausgesetzt, nirgends
hingehörend, oder wir verlieren die Sicherheit; in Traumbildern: mir
wird das Portemonnaie geklaut; ich bin verloren; ich fühle kein Zugehören
mehr; die Pfänder sind taub, die Konten des Vertrauens abgeräumt;
Menschen drücken sich vorbei, keiner will mich. Da, Die Stimme, The
Voice, Christus spricht: Dein Herz erschrecke nicht! � und gleich hört
dein Rasen auf, deine Panik, dein Fremdsein. Du hörst dich nah am
Herzen angesprochen: �Glaubt an Gott und glaubt an mich!� � Ja, das klingt
nicht befehlend, sondern einladend, so: Kommt, es ist angerichtet, es ist
aufgetan, auch für dich.
Glaubt an Gott! Da schwingt was Freilassendes mit. Was mich als Person
meint, sogar mich als Person begründen könnte. Ja, wenn ich nicht
gezwungen bin zu glauben, hätt ich schon das Gefühl von Ernstgenommensein.
Also könnt ich mit gutem Gewissen auch nicht an Gott glauben, er wird
mich verstehen. So klingt Jesu Wort, mehr als ein Lotse, keine Drohung.
�Glaubt an Gott und glaubt an mich, Christus. In meines Vaters Haus sind
viele Wohnungen.� Da verspricht Christus uns Verschiedenen ein Wohnen in
Gottes Haus. Und es ist freizügig, in diesem Haus ist Licht und Friede,
ist Freude, keine Enge sondern Weite.
Da haben auch die Unruhigen Raum, da darf jeder nach seiner Façon
selig werden, da hat jeder sein Eigenes und darf andere einladen, sich
mit dran zu freuen, oder man wirft sein Talent zusammen, tut was Gemeinsames.
Das Gefühl, das dieses Versprechen in dir aufrührt, ist doch,
entronnen zu sein von Bevormundung. Keiner sagt dir mehr: Du bist hier
nur geduldet, du, wenn du nicht gefügig wirst, da ist die Tür.
�In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen und ich gehe, euch Heimstatt
zu bereiten� sagt Christus.
Ich höre da auch ein endgültiges Nachhausekommen angesagt.
Und dies fühle ich als befreiend, als erlösend; ich muss um mein
Spurenhinterlassen, um mein Bleiben, wie auch immer, hier mich nicht sorgen.
Du, ich, wir werden zur Ruhe kommen. Wenn du mehr Farben brauchst, Bilder,
Klänge � nimm was dir gut tut und anderer Menschen Vorstellungen nicht
beschädigt. In unseres Vaters Haus sind viele Wohnungen mit verschiedenen
Tapeten � ist die Einladung zu Freiraum ohnegleichen.
Alle unsere Vorstellungen sind so was wie Tapeten. Wir kleiden unsere
Sehnsüchte in die Stoffe, die hier zu haben sind. Aber sie sind fadenscheinig,
sie sind Feigenblätter, Felle, gut gegen die Blösse, gegen die
Kälte; aber in Gottes Haus werden wir prächtig gekleidet � wir
schmücken einander fürs Fest der Freude.
Ich fühle aus diesem Versprechen der vielen Wohnungen den Geschmack
an Grosszügigkeit und Freiheit. Und das Lustmachen: Auch jetzt fühl
dich wohl in diesem Leben, diesem Haus Gottes. Du, nimm dir ein Stück
Raum für dich und für den, mit dem du teilen willst. Du, fühl
dich hier schon zu Hause. Glaub an Gott, heisst ja auch, glaub dich in
guten Umständen, sieh dich hier gewollt, gebraucht, geliebt, gewollt,
gebraucht, geliebt. Sieh auch dich an als zuständig für das Gefühl,
hier gut zu Haus sein zu können � Gott, Christus wollen selbst Wohnung
bei dir nehmen. � Du Raum und Tempel des Herrn, in dir kommen seine Schätze
zum Zuge.
Du, bei Gott zu Haus. Da fühl dich in deinem eigenen Leben zu
Hause; in deiner Haut, in deiner Geschichte, in deinen Wünschen, in
deinen Beziehungen bei dir zu Haus. � Aber du bist schon auch wie ein Ziegel
in einer Mauer, und die Spannung der ganzen Mauer geht auch durch dich,
und dein Halt hält die Mauer mit. Bei dir zu Haus � das geht, wenn
überhaupt, nur in einer Welt, die Gottes Haus ist. Das glaub. Glaub
sie nicht als Druckfehler des Nichts � in einer verlorenen Welt kannst
du nicht dich retten. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen (Adorno).
� In der nichtigen Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe diese
Welt überwunden, sagt Christus. Diese Welt ist keine Teufelsbude,
kein Geisterhaus, sondern Haus Gottes, mit vielen Wohnungen; du kannst
hier bei dir zu Haus sein.
Du im Haus Gottes bei dir zu Haus.
Das hat für mich das Gefühl eines Schneckenhauses für
mein Ich. Eine Hülle, die mir Geborgenheit schafft, auch wenn ich
an meinen Unarten und Lasten verzweifle.
Und ich muss sie nur in Gebrauch nehmen, mich darin einrichten, dann
könnte ich das Gefühl von Überfordertsein langsam abstreifen
� weil Er mir nicht kündigt. Dein ganzes Kämpfen um Selbstbeherrschung,
Selbstbewusstsein, Selbstbehauptung, Selbstfindung ist falsch aufgezäumt.
Du bist kein dich selbst setzendes Ich. Eine schwangere Frau weiss, wie
über sie bestimmt ist; und der passende Vater dazu auch � nur als
Beispiel. Du in Gottes Haus � das kann dich aufatmen machen; wenn du Glück
hast, bleibt das Gefühl der Geborgenheit bei dir.
Erstes Geborgensein empfanden wir bei Mutter, sicher, und sicher auch
für unsere Ansprüche nicht genug. Hoffentlich hat Mutter dies
Wohlgefühl nicht auf das weiche Handtuch zurückgeführt,
uns nichts von Lenor-Kuschelweich getönt. Oder uns den Familienhund
als letzte Adresse für Trost angeraten. Vielleicht hat sie die Brücke
geschlagen von sich zu Gott. Ganz in Erbarmen eingehüllt, das wünscht
sich unser Leib-Seelen-Ich gar sehr. Und die Menschen, die uns gut sind
an Leib und Seele, die sind die Engel Gottes. Wenn wir das glauben, fühlen
wir die Menschenliebe als Ausschnitt vom Guten-Ganzen; in jeder Zartheit,
jedem Verstehen streift uns eine Feder von Gottes Flügel. Das religiöse
Gefühl ist voll Glück. Amen.