Keitumer Predigten Traugott Giesen
12.03.2000
Sonne ist Menschenrecht.
Die Gott liebhaben, sollen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht
(Richter 5, 31).
Epheser 4 und 5 in Auswahl:
Redet aus der Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir
untereinander Glieder des einen Gottesleibes sind. Und müsst ihr mal
zürnen, so lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn.
Betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid.
Lebt in der Liebe, lebt, wie es sich für Heilige gehört, jenseits
von Habsucht und dankbar. Licht in dem Herrn, ihr seid Kinder des Lichts.
Die Früchte dessen sind Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Habt
nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie
vielmehr auf. Du wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten,
so wird dich Christus erleuchten. Und kauft die Zeit aus, und singt und
spielt dem Herrn in eurem Herzen. Wir sind Glieder eines Leibes.
Der Schöpfungsbericht der Bibel verzeichnet als erstes Werk: Gott
sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht
gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht
Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
Von Franz von Assisi, 1226 gestorben, das Gebet (in Auswahl):
Du Höchster, Allmächtiger, Einzig-Guter,
sei gelobt, mein Herr, mit all deinen Kreaturen. Vor allem gelobt mit
der grossen Frau, unserer Schwester, der Sonne. Die den Tag macht und mit
ihrem Licht uns leuchtet, prächtig in mächtigem Glanze, bedeutet
sie, Herrlicher, dich.
Und sei gelobt, mein Gott, für Bruder Mond und die Sterne, für
Bruder Wind und jedes Wetter, wodurch du belebst die Kreaturen, dass sie
sind.
Sei gelobt, mein Herr, für Schwester Quelle, für Bruder Feuer.
Sei gelobt durch unsere Schwester, die Mutter Erde, die uns versorgt und
ernährt. Sei gelobt für jene, die verzeihen aus Liebe, und die
Elend tragen und Mühsal. Sei gelobt, mein Herr, für unsern Bruder
Tod, den herben. Lobet unsern Gott voll Dankbarkeit und dient ihm in Demut.
Richtig wohltuend find ich, wie hier die Grundelemente des Lebens uns
nah verwandt benannt werden. Nicht hier der Erkennende und jenseits davon
alles andere. Geschwisterlich redet Franz von den Elementen, Bruder Mond,
Schwester Quelle, Mutter Erde; wir zugehörig, sehr verwandt mit allem
– sogar der Tod ein, wenn auch herber aber immer Bruder – so mal denken
können, befriedet gehen können.
Nun, erst sind wir hier an der Arbeit. Und da, bei der Arbeit des Lebens
hilft uns vor allem die Sonne, „die grosse Frau, unsere Schwester“, eine
starke Anrede des heiligen Franz.
Es kann einen schon traurig ankommen die Beschaffenheit der Welt, die
in Sintfluten Ertrinkenden von Mozambique und die mordenden Väter,
vernichtende Mütter in den Zeitungsschlagzeilen und Blödel-Fernsehen
en masse. Dazu passt das Wetter. Die vielen Niederschläge machen etwas
niedergeschlagenes Gemüt. 8.32 Uhr ein Lichtblick für zwei Minuten.
– Wir gieren nach blauem Himmel, lechzen nach Sonne.
Was die mit uns macht, lasst uns bedenken. Und, dass sie ein Tarnname
für Gott wurde und dass wir „Kinder des Lichtes“ in der Bibel genannt
werden. Die drei Sachen jetzt bedenken: 1. Was Sonne mit uns macht. 2.
Die Sonne als Bild für Gott. 3. Wir – nicht Erdlinge sondern „Kinder
des Lichtes“.
1. Was Sonne mit uns macht.
Also Sonne ist ein Menschenrecht. Gefängnis ist auch darum so
schlimm, weil man nicht jederzeit raus kann ins Licht. Und wer ans Bett
gefesselt ist, denkt wehmütig hin zu denen mit Platz an der Sonne.
Und viele auf Arbeit fühlen sich fast wie unter Tage, bei künstlicher
Beleuchtung und Luft aus dem Gebläse; oder am Computer, vor sich Mattscheibe
und innen bald auch. Wir müssen in die Sonne, möglichst, sobald
sie sich zeigt. „Wenn Sonne, alles stehn und liegen lassen und raus“ ist
hier Überlebensregel. Oder auch, wenn möglich, mal in den Süden,
wo sich seit Wochen ein Hoch plustert.
Die Sonne ist Zentralkörper unseres Planetensystems und unser
nächster Stern – „unser“, wie das vertraulich klingt – aber gemessen
an den stockfinsteren Welträumen ist die Sonne eine Art Vater-/Mutterkraft
für alles Lebendige. Dreihunderttausendmal massiger als unser Erdchen.
Ein Atomofen gigantischen Ausmasses. Die äussere Hülle nennen
wir Corona, Krone, noch mehrere Millionen Grad heiss strahlt die Wärme
ab bis zu uns hin. Sie deckt fast den gesamten Energiebedarf der Erde,
macht die Pflanzen wachsen und alles Lebendige gedeihen. Sonnenschein ist
das Lebensmittel und scheint uns auf die Haut bis in die Seele.
Du hältst dein Gesicht der Sonne hin, und alle Schatten fallen
hinter dich. Sonne auf deinem Gesicht, Augen geschützt – und Behagen
glättet deine Züge. Es ist tatsächlich ein sanftes Streicheln,
zumal wenn auch ein Windhauch dazwischenspielt. Dies die Augen zu, die
Arme hängenlassen, als hätte man längst alle Waffen gestreckt,
dies Sich-ausliefern, Sich-hinhalten auch fremden Blicken, die aber freundlich
scheinen. Man ist ja miteinander geborgen im weiten Mantel des wärmenden
Lichtes – wie friedlich die Menschen am Strand oder im Gebirge hinter dem
Windschutz dicht an dicht gepackt sind. Wie friedlich werden wir, von der
Sonne beschienen, beschützt. Natürlich kann sie auch stechen,
quälen, verdursten machen, aber viel viel mehr ist sie uns Heilmittel.
Die Schatten fallen hinter dich. Hingegossen dem Glück der Helle
spüren wir Behagen. Und das setzt in uns auch eine Kernschmelze in
Gang: Wir spüren das Lebendürfen. Wunderbares Staunen kann uns
berauschen: Ich bin da, ich bin hier, ich bin ich. Ich bin gewollt. Unter
der Sonne fühlst du dich aufblühen von Bejahekraft.
Und alle Schneeglöckchen und Krokusse – der Mandelzweig hier vorne
am Altar – sie alle gespeicherte Sonne und predigen uns: Wir dürfen
leben und unser Wachstum zeigen. Die Grashalme, die durch den Asphalt sich
bohren, sind von der Sonne gezogen durch die harte Kruste. So auch du,
ich: Mittels des Lichtes wird unser Himmelskern, unsere Seele, unser „Ich“
erleuchtet. In uns wird es hell. Unsere düsteren Gedanken zerfliessen
wie Nebel, wir kriegen ein sonniges Gemüt.
Kein Wunder, wenn die Sonne ein Tarnname für Gott geworden ist.
Damit sind wir beim Zweiten: Die Sonne als Bild für Gott.
Die frühen Menschen haben die Sonne als Gottheit verehrt als unbesiegbaren
Sonnenkönig. Aber wir haben dann doch gelernt, nicht der Sonne zu
danken, sondern für die Sonne. – Sie ist ein riesiger Ofen, ein Objekt,
eine Sache, also ohne Willen.
Wir sagen zwar „die Sonne gibt Wärme“, sagen auch „die Erde dreht
sich“ oder „der Baum wächst“. Es ist ungenaues abgekürztes Reden:
Nicht der Baum wächst, der Prozess des Wachsens wird ja nicht vom
Baum gemacht, der Baum ist Ergebnis des Wachsens. Nicht die Erde dreht
sich, sondern mittels Drehbewegung und Schwerkraft und Fliehkraft wird
die Erde in Schwung gehalten. So auch die Sonne, sie gibt nichts,
ist nur ein Heizwerk; Gott leuchtet und wärmt uns, macht alles Unterscheiden
erst möglich, mittels der Sonne.
Also nicht ist die Sonne Gott, sie ist wie wir Schöpfung, sein
zentrales Instrument – neben Wasser, Luft und Erde die Voraussetzung für
alles weitere, auch für Tier und Mensch.
Warum Gott viel mehr ist als die Sonne, das steht hier vorn im Deckenbalken:
Psalm 84, 12: „Gott ist Sonne und Schild“. Sonne steht für alle Energie
– naturhaft, ungezielt. Aber Gott ist noch viel mehr: Nämlich Liebe,
Schutz, Wille zur persönlichen Befreundung, und Gott ist auch Mass,
was wir tun sollen: Das Schutzschild der Liebe befähigt uns, die anvertrauten
Energien sinnvoll anzuwenden.
Wir danken nicht der Sonne sondern für die Sonne. Und doch ist
diese Lichtquelle ein starkes Bild für den Grund von allem. Auch Bild
für Tod und Auferstehen – für Wiederkommen, Treue in der Verwandlung.
Kein Wunder, wenn Jesus, Gottes nahester Mensch, oft als Sonnenprinz gemalt
wurde. Und Karfreitag es heisst: In Jesu Todesstunde verfinsterte sich
die Sonne. – Die Sonne der Liebe schien verloschen – bis an Ostern es genau
anders wurde, das Totenreich wurde erleuchtet, die von Gott abgekehrte
Seite des Lebens wird eingeholt ins Haus Gottes, Bruder Tod trennt nicht
mehr von der Liebe.
Die Sonne ist ein Bild dafür, dass Gott da ist, auch wenn wir
ihn nicht gesondert sehen können. Wir sehen auch nicht die Sonne sondern
ihr Licht, sehen die Wirkung, nicht die Ursache. Wie uns Sonne und Schein
verschmilzt so Gott und seine Auswirkung, das Leben. Die Wohltat Gottes
erkennen heisst ihn erkennen; wie Gott jenseits seiner Taten ist, geht
uns nichts an – so wenig, wie wir die Sonne im Inneren erkennen müssen.
Und das Dritte: Wir sind Kinder des Lichtes: In der Tiefsee, unter
der Erde gedeihen keine Menschen. Aber „Kinder des Lichts“ – das ist mehr:
Wir sollen uns nicht als biologische Naturstücke betrachten, die ihre
Lust auf plattestem Niveau bequem befriedigen. Kinder des Lichtes – meint
Kinder vom Licht der Liebe. Es zählt, was der Liebe dient. Alles andere
lässt uns letztlich mit leeren Herzen dastehen.
Wenn wir wieder mal uns sonnen dürfen, sollen wir uns als Dankbare
bemerken. 1. Du fühlst dich als geliebter Mensch. 2. Sonne und Liebe
hat eine Ursache – Gott die Ursache, der Urheber, der Schöpfer von
allem. Und 3. Du bist Kind des Lichtes, also tu, was Erhellendes.
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