Traugott Giesen Kolumne 25.04.1998 aus Hamburger Morgenpost
Wenn ein Pastor totschlägt
Pastor Geyers mutmaßlicher Totschlag an seiner Frau hat viel Schrecken
ausgelöst: Wenn schon einem, der mit Bibel und Glaube vertraut ist,
so was Entsetzliches widerfährt � was ist dann noch zu erwarten? Wieder
ist mehr Verunsicherung da. Und seinen Gott zu Hilfe rufen gegen die böse
Welt � das bot ein Bild des Schmerzes, aber wäre im Schuldfall in
höchstem Maße lästerlich.
Werde einer aus uns Menschen schlau. � Auch ein Pastor, in unbändigem
Zorn, kann seine Frau erschlagen. Auch eine Pfarrersfrau (und Bürgermeisterin)
kann ihren Gatten vorher verbal zur Raserei gebracht haben. Und Menschen
können Böses dermaßen verdrängen, daß es ihnen
selbst als Spuk vorkommt, überhaupt der Tat verdächtigt zu werden.
Viel zu viele Deutsche haben aktiv an Nazi-Greueln mitgewirkt und tauchten
zurück in ein biederes Leben, taten Morden und Quälen ab als
bösen Traum. Und keiner kann ihnen nachweisen, daß sie wissen,
was sie getan haben.
Auch Pastor Geyer kann sich für unschuldig halten. Dennoch müssen
wir Mitmenschen Recht sprechen auf Grund des Augenscheins. Unsere Gerichte
haben ihn für schuldig erkannt. Aber gestanden hat er nicht. So bleiben
Zweifel, aber nicht weil ein Pastor sowas nicht tue; Abel und Kain stecken
uns allen in den Genen. Doch ein Rest von Menschengröße ist
da, wenn wir unsere Schuld einräumen und wir Verzweiflung zulassen
können über das Knäuel von Kaputtheit und Lieblossein, das
explodierte in der Zerstörung. Auch Gott weiß, daß oft
dem Menschen nichts anderes übrig bleibt, als Unrecht zu tun. Aber
zur Tat zu stehen, das macht es dann auch möglich, sich von der Tat
loszusagen. Gestehe ich und büße ich, kann dann auch ein neuer
Anfang gewährt werden.
Vielleicht hat Pastor Geyer seine Frau nicht erschlagen. Aber mutmaßlich
� wenn man von außen überhaupt urteilen, beurteilen darf � hat
er ein so herrisches Inbild, daß er es nicht gewesen sein darf, koste
es, was es wolle. Vielleicht muß er auch diesen Fehler verstecken,
wie er andere dunkle Sachen verstecken mußte � diese Anstrengung,
zu scheinen was man nicht ist, erschöpft schon die ganze Geisteskraft.
Angst vor dem Fall ist bei uns allen da. Jeder hat was, das er gern
verschweigt � und es ist ein Akt von Menschenfreundlichkeit �zu entschuldigen,
Gutes zu reden und alles zum Besten zu kehren� (Luther). Wenn anläßlich
eines großen Verdachtes dann Verschwiegenes und Zugedecktes in die
Öffentlichkeit muß, ist das allein schon viel Strafe und Jammer.
�Der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott sieht das Herz an.�
Dies Bibelwort ist Trost für Unschuldige und ein Bann für Versteckspieler.
� Doch was wissen wir schon. Gnade uns Gott.