Traugott Giesen Kolumne 14.03.1998 aus Hamburger Morgenpost
Mensch, sei dir gut!
Wenn du nicht für dich sorgst, wer dann? Wenn du dich nicht magst,
wer denn? Deine blöde Selbstverachtung soll sich verflüchtigen.
Vielleicht hat man�s dir als Größe angedient, an dich selbst
zuletzt zu denken. Aber wenn du das Gefühl hast, immer zuzusetzen,
dann wird in dir etwas gehässig. Wenn du gegen dich selbst hart bist,
läßt anderer Menschen Leid dich auch kalt. Geizt du für
dich, was sollst du anderen viel gönnen? Sparst du dir�s aber vom
Munde ab, um Kind oder Enkel oder Geliebten zu sponsern, was müssen
sie dir Dank schulden, wie sollen sie wieder gut machen deine Opfer? Gib
nur, weil du und wenn du Lust hast.
Opfer nicht so viel. Gib und nimm. Verwöhn und laß dich verwöhnen,
mach andere nicht zu Prassern, weil du ihnen so viel reinschiebst. Leb
erst mal du, statt anderen die Späßchen zu finanzieren. Tu was
für dich.
Du hast ein Recht auf Glück. Also steh dir nicht im Weg, werde
geschickt. Nimm dich ernst, prüf doch mal, wie du dir Freude machen
kannst � fühl hin, was dir Freude machen könnte.
Bade wieder mal mit duftenden Soßen, nimm dir Leckeres mit und
Lektüre, mach dich schön. Verweil vor dem Spiegel, allein ist
nichts zum Schämen. Und such dir eine interessante Kleidung raus,
sieh dich gern. Stutz doch wieder mal über dich selbst. Probier dir
ein paar Rollen an, wen rufst du gleich an, mit wem machst du dir Freude
� aber heikle Sachen überleg dir gut.
Plan ein schönes Stück, Du, eine Reise, ein Projekt, eine
Fete, ein Kauf für die Wohnung. Und lies Gedichte, sie bringen in
dir was zum Schwingen. Oder ruf einen alten Freund an, eine Freundin, verabrede
eine Gedächtnis-Spazierfahrt an die Orte früherer Freude � oder
rühr was Neues ein.
Denk doch nicht, du könntest nur glücklich sein, wenn du einen
glücklich machst � es ist gelogen. Das System Leben geht nur so, daß
jedes Detail sich erhalten will, und darum in Symbiose mit anderem Leben
steht. Also: Nehmen und Geben, strömend � das ist die Kunst. Und einfach
nur hinfühlen was dir bekommt; es ist nur zu erreichen, wenn andere
mitspielen, was sie wiederum nicht dir zuliebe tun müssen. Es reicht
völlig, wenn jeder an sich denkt mit Fühlung für die andern.
Wir können uns herrlich nützen, beistehen, ergänzen � wie
ein Orchester. Aber Hauptsache, du triffst erst mal deinen Ton richtig,
bist gerne du selbst.
Manche kreisen so selbstvernarrt um sich, daß sie immer weiter
auch von ihrer Sehnsucht abgetrieben werden. Aber, du, wenn du auf dich
hörst, wirst du zum eigenen Vergnügen viel ausgeben von dir an
Begabung und winkenden Augen, an Mitfühlen und Phantasieren. Werde
liebenswürdig zu dir, tu deinem Leib Gutes, nähre deine Seele
mit Freude, verwöhn dich, lieb dich, achte dich.