Traugott Giesen Kolumne 14.02.1998 aus Hamburger Morgenpost
Talismane bei Olympia und anderswo
�Die Zeit� hat veröffentlicht, welche Glücksbringer die Damen
und Herren Sportler in Nagano mithaben. Der Stoffeisbär und das Freundschaftsbändchen,
der Skarabäus und das Steh-auf-Männchen. �Wenn ich meinen Teddy
verlieren würde, wäre das ein herber Verlust, wenn�s gut läuft,
gratuliere ich ihm� sagt Skispringer M. W. �Und die Dollarmünze, die
mein Vater schon von seinem Vater bekommen hat, ist mir eine Art Schutzengel�
sagt die Snowboarderin Nicola T. Und Susi E. trägt seit drei Jahren
ihr besonderes Wettkampf-T-Shirt.
Die Menschheit hat eine lange Geschichte mit Talismanen. Ein Nagel vom
Kreuz von Golgatha soll eingearbeitet sein in die Stephanskrone; im Kölner
Dom liegen die Heiligen Drei Könige begraben; auch wenn diese märchenhaften
Figuren nie existiert hätten, haben die edlen Knochen im Schrein viel
Volk angezogen.
Wichtig ist nicht die Materie sondern der Glanz darüber, nicht
das Material sondern was darüber gesprochen wurde und als was sie
gelten. Wichtig bei den Glücksbringern ist, daß man auf sie
aufpaßt. Sie vertreten ja die Anwesenheit des Schenkers, sie sind
seine gespeicherten guten Wünsche.
�Talismane� sagte der berühmte Heilkundige Paracelsus sind �Büchsen,
worin die himmlischen Einflüsse aufbewahrt werden.� Etwas davon trauen
wir den Bildern unserer Lieben zu in unsern Brieftaschen, oder dem Ring,
den wir am Altar empfangen haben. Oder dem Kreuz, das uns eine Zigeunerin
in die Hand legte. Es kann auch ein Kamm sein, der trotz der ausgefallenen
Zinke nicht verstoßen wird. Oder der Stein, den ich vom Urlaub mitbrachte,
aus vielen möglichen ausgewählt, alle anderen wurden verworfen,
nur der soll es sein; er sagte es mir deutlich, es blieb keine Wahl. Oder
die Babyschuhe am Autospiegel, die Heilige Madonna auf dem Lenkrad des
Taxifahrers in Mexiko, der Geisbock am Spielfeldrand des 1. FC Köln.
Intensiv wirkt die Taufe, es ist die Adoption in den Stand der Gotteskindschaft.
�Wasser tut�s freilich nicht, sondern das Wort, das mit und bei dem Wasser
ist� sagt Luther. Zur Sache muß das Wort treten bei allen Talismanen
und Amuletten. Die Widmungen haben Kraft, wenn ich von ihrer Kraft überzeugt
bin. Weiß ich von der Widmung nichts, dann ist es bloß ein
Ding. Mein Glaube macht es wichtig. Das ist ernüchternd. Die Welt
ist entzaubert. Ein Ding ist ein Ding, seine Macht liegt in meiner Einschätzung.
Es ist wie mit einem Geldschein. Das Papier wird werthaltig, weil wir uns
verabreden, es in Zahlung zu nehmen.
Darum: Wenn dein geliebter Anhänger verloren geht, erkläre
einen neuen für wichtig. Nichts ist von Natur aus ein böses Omen.
Ob eine schwarze Katze von links dir schadet, kommt darauf an, ob du eine
Maus bist. Mein Talisman ist Beten. Kannst du auch.