Traugott Giesen Kolumne 24.05.1997 Hamburger Morgenpost
Auch die Jugend heute hat ihre Power
Das bekommen sie oft zu hören, die jungen Leute: Ihr wollt nur Spaß
haben, wollt eure innere Leere überdröhnen; habt ihr keine Ideale,
wollt ihr keine Zukunft?
Dabei ist es schon Galgenhumor, was viele locker sein läßt. Denn
viele haben sich beworben, durften sogar mal sich vorstellen, aber genommen
wurden wenige. Und ein Schlag Jugend bewirbt sich erst gar nicht, denn sie
sehen ja, wie selbst Geschniegelte leer aus gehen. Und eine Handvoll macht
sich ihre eigene Gegenwelt - wo der Ton rauh ist und Regen die Schlafsäcke
feuchtet - aber wo man Leid und Habe teilt und die Verachtung der Bürger
verlacht. Und einzelne stecken ihr Verletztsein eben nicht weg sondern
rächen sich am Nächstbesten.
Heute, das belegt die Shell-Jugend-Studie, ist Verzweiflung den
Zwanzigjährigen nahegerückt. Ihre Eltern waren im gleichen Alter
bedrückt von Atomangst, Naturzerstörung und Beziehungsproblemen.
Zweidrittel der um Zwanzig ängstigen sich, ob und wann sie den richtigen
Beruf finden. Die Eltern hatten noch mit einem Staat zu tun, den man zur
vermeintlich "richtigen" Politik zwingen konnte. Die Jugend von heute sieht
den Staat hilflos, die Politik voll Wortblasen, die Politiker abgehoben.
Der Staat erscheint ihnen als riesige Nimm-und-gib-Maschine, die denen am
meisten bringt, die sie am geschicktesten nutzen können, und das ist
wohl die Großwirtschaft. Die erwirbt riesige Gewinne, aber drückt
sich mehr und mehr vor Ausbildung und vergibt die handarbeits-intensiven
Tätigkeiten in Billiglohn-Länder.
Die Jungen sind politikverdrossen, weil sie die Politik für
"jugendverdrossen" halten. Ungefähr für jeden Jugendlichen ist
"diese ganze Partei- und Vereinsmeierei nicht so mein Ding". "Es muß
doch Spaß machen, wenn ich mich engagiere" - ist ein Leitwort heute.
Und so sind viele Jugendliche dabei, wenn konkret, auf Zeit, mit Gleichaltrigen
"was für hier" gemacht wird, das Schwimmbad erhalten, eine Half-Pipe
errichtet werden soll. Stadtteilfeste rund um den Kirchturm werden gerne
mit inszeniert, auch weil keiner dran verdient.
Rausfinden, wer man ist, das ist ja das Wichtigste am Jungsein. Unwahrscheinlich,
wie schnell sich heute Vorbilder verbrauchen und Gruppenzusammenhalt
bröckelt. Unverbindlich schlüpft man schon mal in die Klamotten
von Punks, dann von Faschos oder "irgendwie Linken" - wird Computerfreak
oder probiert sich als DJ. Weiterbildung wird groß geschrieben, Jobs
werden versucht, wendig sind die Jungen, cleverer und flexibler als noch
die Eltern, auch nicht gewalttätiger, aber mehr spaßorientiert
und cool fragend, "was hinten bei rauskommt". Doch, schwierig auch heute
das Jungsein - aber verheißungsvoll weil voller Chancen, Farben,
Mühen und doch auch Freuden. Sie haben mehr im Kopf, als die Popmusik
dort ablud. Sie haben Vorrat an Zukunft und Zuneigung.