L e b e n s m u t
 
Herzlich willkommen auf der Homepage von Traugott Giesen, ehem. Pastor in Keitum auf Sylt!

Aktuelles

Predigten
Kolumnen
Bibelenergie
Tägliche Losung
Gastpredigten
 

Archiv

Nachhören
Archiv Predigten
Archiv Kolumnen
Themenverzeichnis
Weitere Texte
Bibelstellen
Aufgelesenes
 

Informationen

Bücher
Links
 

Kontakt
Emailkontakt
Webmaster
Gästebuch
Impressum

Besucher seit
12.03.2001
0967590
Kolumne 5. März 2005

Traugott Giesen Kolumne 05.03.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Wieder ganz neu hinschauen lernen oder: Wegschauen kommt direkt nach Mord

Ein Kind verhungert mitten unter uns. Erst ist es gefangen gehalten, dann von den Eltern gezielt ausgehungert und verdurstet gemacht. Die deutsche Sprache weigert sich, das so zu sagen. Es kann nicht sein, sein eigenes Kind durch Nahrungsentzug zu ermorden. Und doch ist es geschehen.

Kann Unmenschlichkeit so tief in den Keller gehen? Wenn Unmenschlichkeit noch einen Abgrund tiefer reicht, dann muss die Menschlichkeit noch hellhöriger, noch tatkräftiger, noch dringender werden. Wenn das Entsetzliche ins Normale einbricht, muß die stellvertretende Verantwortung aufstehen und kraftvoll werden.

Die soziale Kontrolle war mal streng. In „diesem ehrenwerten Haus“ hatten die Wände Ohren und Nachbarn tuschelten Gehässigkeiten. Diktaturen lassen ihre Untertanen sich gegenseitig in Schach halten. „Bei Hitler wäre so was nicht passiert“- natürlich nicht, weil jeder Blockwart in die Wohnung spazieren konnte: Man hatte doch vor dem Auge des Volkes nichts zu verbergen; man hatte den Großen Bruder zum Freund zu haben. Inzwischen lernten wir die Verantwortung des Einzelnen zu achten. Der einzelne ist der Gesellschaft gegenüber nicht für seine Handlungen verantwortlich, solange deren Folgen nur ihn selber und keinen anderen betreffen ( Jon Stuart Mill). Freiheit ist groß geschrieben. Wenn eins die Eltern heute gelernt haben, dann, sich nicht einzumischen bei den erwachsenen Kindern. Ihre ehe, ich Erziehen ist ihr Ding. Und warten,  bis die Kinder, Enkel selbst darauf zu sprechen kommen. Früher war die Kleinfamilie noch eingebettet in behütende Obhut. Das entlastete und bevormundete zugleich. Heute haben wir eine Kultur der Nichteinmischung. Jeder ist für sich allein, anonyme Hilfestellen können in der Not angefunkt werden. Oder eben auch nicht.

Es gibt Menschen, die wissen nicht was sie tun. Sie sind „hilflose Person“, unzurechnungsfähig, überfordert in ihrer Freiheit, sie können nach Außen noch lange den Schein waren, aber sie senden Zeichen, daß ihnen ihr Leben aus dem Ruder läuft, sie innen und außen verwahrlosen. Da ist unser aller Wachheit gefordert. Wenn der Briefkasten überquillt oder man beim Türöffnen gestapelte Mülltüten bemerkt oder üblen Geruch, oder Bestelltes über Bestelltes kommt. Oder Gesichter zerschlagen sind oder viel geweint wird. Dann ist Gefahr. Du, ich, wir müssen tätig werden, müssen uns rühren lassen. Direkt nach Mord kommt unterlassene Hilfeleistung. Wir müssen nicht selbst Hand anlegen aber alarmieren, das müssen wir.

Nehmen wir Jessicas traurigen Tod zum Anlass, unseren nächsten und übernächsten Nachbar noch mal wahrzunehmen. "Ich möchte wissen, mit wem ich in einem Haus wohne, und will, daß sie mich kennen- für den Fall der Not und wenn es was zu feiern gibt." – Mit solch einem Satz knüpf noch mal was an. Und es gibt Unglücksgeschöpfe, es gibt Verfluchte. Sie müssen entdeckt werden, damit sie vielleicht noch geheilt werden können.


 




Service

Startseite
Druckvorschau

Presse-Feed EKD

© 1996-2024 Evangelische Kirche in Deutschland
Weitere News...  

 
Online 12