Predigt 14. November 2004
Keitumer Predigten Traugott Giesen 14.11.2004
Was macht Trauern mit uns - durch Trauern wird das Herz gebessert
(Prediger 7,3b)
Nach Psalm 125: Wenn der HERR die Pilger des Lebens erlösen wird, dann
werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen: Der HERR hat
Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. Die mit Tränen
säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen
ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Jeremia 31,15: So spricht der HERR: Man hört Klagegeschrei und bitteres
Weinen in Rama: Rahel weint über ihre Kinder und will sich nicht
trösten lassen; denn es ist aus mit ihnen. Aber so spricht der HERR:
Lass nun dein Schreien und Weinen und die Tränen deiner Augen; denn
deine Mühe wird noch belohnt werden, spricht der HERR. Sie sollen
wiederkommen aus dem Lande des Feindes.
Jesaja 51,11.12a: Die Erlösten des HERRN werden heimkehren und nach
Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne
und Freude werden sie ergreifen, Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.
Ich, ich bin euer Tröster!
Wir sahen eben die überbordende Trauer der Palästinenser über
den Tod ihres geliebten Vaters der Nation: Jassir Arafat. Und jeder von uns
hat schon um einen geliebten Menschen oder auch um ein geliebtes Tier getrauert.
Mit ihm ging ein Stück von einem selbst. Heute am Volkstrauertag gedenken
wir an die in Kriegen ums Leben Gebrachten. Vielleicht ist dieser Tag so
schwierig zu begehen, weil Trauer überhaupt uns schwierig geworden ist.
Sind uns die Vorbilder und Muster für Trauer ausgegangen? Oftmals ziehen
sich Menschen in ihrer Trauer so völlig zurück, daß sie sogar
die Bestattung vollziehen lassen in aller Stille, als habe man etwas zu
verbergen.
Denken wir nochmal, was Trauer mit uns macht, und warum sie so wichtig für
uns ist. Die öffentliche Trauer um die in Kriegen Umgebrachten wollen
wir dann gemeinsam begehen beim Gang zum Ehrenmal, zu dem die Gemeinde im
Anschluß an den Gottesdienst herzlich gebeten ist. Was macht Trauern
mit uns? Durch Trauern wird das Herz gebessert (Prediger 7,3b)
Jesus Sirach 22, 10f Über einen Toten soll man trauern, denn die Sonne
ist ihm erloschen. Doch soll man über einen Toten nicht zu sehr trauern,
denn er ist zum Frieden gekommen.
Ist ein Nächster von dir gegangen trauere um ihn, der die Sonne nicht
mehr sehen kann und um dich, der du deine bisherige Welt verlierst und Zeit
brauchst, bis deine neue Welt wird. Trauer weint für den, der von hier
weg musste. Und noch mehr weint Trauer um mich, ich sah doch mit ihm, was
ist. Immer war seine Sicht der Dinge mein Sehen mit, ich konnte ihm so vieles
überlassen, Geldsachen, Papierkram, Verwaltung, die Verbindung zu den
Kindern, ich nutzte die Segnungen seines Soseins. Er ging auf die Barrikaden
für mich, brach den Streit vom Zaun, der meist längst sein musste.
Er kannte die Menschen anders, wir tauschten uns darüber aus, - so hatte
ich doppelt mehr Menschenkenntnis, mehr Weltkenntnis.Und ihre Lust an Blumen,
Farben, schönen Sachen. Ohne sie ist mir die Welt nicht mehr farbig,
eher nur schwarz-weiß. Das leere Haus - vorher seine Anwesenheit, seiner
Geschäftigkeit, sein Telefonieren, sein Verknüpfen. Ja, jetzt
könne ich machen was ich will - das sagen die Leute. Aber das Widerlager
fehlt, im Gegenüber hat man doch entwickelt, was zu wollen sei. Jetzt
sitzt der Alleingelassene da, ist einfach vorhanden, - das ist traurig, ist
Trauer pur.
Man sagt, genügend Tröstungen kämen auf einen zu. Man soll
doch nur die vielen Einzellebenden sehen, die wachen Witwen; sie haben doch
alle ihre Würde wiedergefunden, ihre neue Mitte. Ja, bei Männern
ist es schwerer. Die frauenlosen Männer sehen immer verlassen und verloren
aus, Frauen haben wohl mit Abschied zu leben gelernt. Geht ihnen immer das
Liebeste sowieso weg? Ist Haben als hätte man nicht,
genießen, versorgen, großziehen und loslassen ihr Skript? "Haben
als hätte man nicht" das große kleine Wort des Paulus (1.
Korinther 7,29). Ein unbestimmte Vermissen ist das immer bei Frauen? Der
Männer Heimat ist ihre Arbeit, auch das Spiel betreiben sie ernsthaft
wie Arbeit. Männer verlieren sich. Frauen finden sich. Denn der Frauen
Heimat ist in der Sprache - sie finden immer wen zum Reden, Reden schafft
Trost, den eher Frauen erfahren.
Wenige Menschen noch tragen längere Zeit Trauerkleidung. Aber ein Schleier
ist lange mit ihnen. Waren sie als Paar eng zusammen gegangen, geht der
Verbliebene weiter zur Seite hingeneigt, zugewandt. Gabriel Garcia Marquéz
sagt von einer Witwe: "Amputierte fühlen in dem Bein, das sie nicht
mehr haben, Schmerzen. So fühlte sie sich. Ohne ihn spürte sie
ihn dort, wo er nicht mehr war. ..Sie fühlte die seltsame Gewissheit,
mit jemandem zu essen, den es nicht mehr gab. ... Wo immer sie ging und stand,
stets stieß sie auf etwas, das an ihn erinnerte. Der Wunsch ihn zu
vergessen, war der stärkste Antrieb, an ihn zu denken....Aber
irgendwann wollte sie wieder sie selbst sein und alles zurückerobern,
was sie in einem halben Jahrhundert zweifellos glücklicher Leibeigenschaft
hatte abtreten müssen.... Irgendwann schritt sie zur großen
Kleiderverbrennung und dann sehnte sie sich nicht mehr nach dem, was sie
am meisten gestört hatte, nach dem Krach, den er beim Aufstehen machte.
Gerade diese Erinnerungen halfen ihr dabei, aus dem Mangrovendickicht der
Trauer herauszufinden. Sie wusste, es würde weiterhin schwer sein, jeden
Morgen aufzuwachen, doch von mal zu mal weniger". Was bleibt, sind die Stiche
plötzlicher Erinnerung und das sich selbst Bedauern: Was macht es mir
aus, ob meine Backe rau oder glatt ist? Es ist da eine Trägheit der
Trauer. Cleve Staple Lewis sagt in seinem Büchlein: Über
die Trauer: Es verhält sich so, wie bei einem todmüden
Menschen, der in einer kalten Nacht noch eine zweite Wolldecke braucht, aber
lieber bleibt er schlotternd liegen, als daß er aufsteht, um sich eine
zu holen. Ist man zu zweit, kommt zur eigenen Kühle die
Bedürftigkeit des anderen, und man geht, auch weil man dann
fürsorglich war. Allein gelassen muß die Trauer einen lehren,
jetzt gut für sich, den Übriggebliebenen, zu sorgen.- Man muß
viel achtsamer für sich werden, gerade weil der, der Halt geboten hat,
nicht mehr da ist.
Trauer lehrt auch, Gott wieder zu finden. In guten Tagen verstand er sich
von selbst, war an den Rand gerückt, auch seine Ansprüche. Jetzt
die Stille - wo ist Gott? Gut, sich zu erinnern an Gemeinde, wo das Feuer
des Namens Gottes noch leuchtet. Gut, sich wieder hinzugesellen denen, die
die Flamme am Brennen halten. In der Trauer verlerne, so entsetzliche Dinge
von Gott zu denken, wie: Gott strafte dich für das gedankenlose Glück
früherer Tage. Auch die Zeiten, wo ihr von Gott nicht sprachet, waren
euch nicht gottleer. Erinnere eure Dankbarkeit, eure Freude, als an Herz
und Leib nichts unbefriedigt blieb, da danktet ihr auch dem Guten Ganzen,
und wenn auch eher unbewusst, doch alle Dankbarkeit ist Gottesdienst. Und
im Rückblick erinnerst du: Ihr waret dankbar, feiertet die Siege, die
Ernten unter Mühen, die Wonnen der Bewahrung. Auch das bringe die Trauer
zustande; sie zeiht den vorigen Zeiten die Dankstreben ein, du lernst. die
Häupter der Lieben auf den Fotos mit Heiligenschein zu schmücken.-
Red dir das Vergangene nicht schön, aber lass es gut sein, entschuldige,
kehre zum Besten - was war. Es war immer erst Anfang. Lass dir und den dir
Gestorbenen Vergebung widerfahren, glaube dich von Gott geliebt und instand
gesetzt, jetzt noch mehr du zu werden.
Trauer ist auch Schmerz, daß man einander viel schuldig blieb. Man
hätte noch gern viel gefragt, ihm viel gesagt. Aber ihr ward zu eurer
Zeit so wie ihr ward. Ihr werdet gewusst haben, warum ihr die stummen Blicke
beredt genug fandet, zu eurer Zeit habt ihr einander geschont und ahntet
doch viel. Die Liebe deckt zu, so die Bibel (Sprüche 10,12),
Trauer lehrt: Es gut sein zu lassen, nicht abgetan, sondern verheilt es lassen.
Kein schlechtes Gewissen, daß du noch lebst. Es ist bestimmt
in Gottes Rat, daß jeder Mensch sein Leben hat und jeder seine
Ernte bringt und jeder noch es nötig hat von der Liebe ergänzt
zu werden. Die von uns Gegangenen tragen schon helle Kleider, das Schwierige
haben sie schon niederlegen dürfen, jetzt malen sie die
glühendfarbenen Bilder zu denen sie auf Erden nicht kamen, und finden
die vormals Verstoßenen und Unerreichten. Wir brauchen denen, die uns
starben keine Liebe nachtragen - ich denke, sie sind andersweitig
beschäftigt.
Trauer ist das intensive Gedenken an den Gegangenen. Trauer lehrt, daß
ich den Gehorsam gegen den andern nicht mehr brauche, er meinen auch nicht.
Man wird immer mal wieder sich erinnern: daran hätte er seine Freude
gehabt, oder daran nicht. Aber nichts mehr müssen wir ihm zur Liebe
tun. Darum auch keine Testamente machen, wo ihm, ihr zuliebe was getan oder
nicht getan werden muß. Wer überbleibt, muß allein weiter.
Und wehe, wir wollen über den Tod hinaus den andern binden, oder Kinder
wollen Mutter, Vater auf die alte Treue verpflichten. In der ersten Zeit
ist man ja unsicher man kennt sich ja selbst noch nicht als Verlassener und
Freier. Das Alleinweiter behält einen Trauerrand. Aber das Alleinweiter
ist Trauerarbeit genug. Du brauchst nicht zusätzlich viel darüber
nachdenken.
Bitte halte dich nicht für gefühllos, wenn du ganze Strecken nicht
an den, der dich verlassen hat, denkst. Dein Alleinweiter ist Treue genug.
Du sollst ins Freie gelangen. Du bleibst auch die Witwe, der Witwer von...
Aber mit der Zeit wirst du ein neuer Mensch. Das ist ein Wunder, das
ist Auferstehung, mitten im Leben. Sicher fällt dann erst einem auf,
wie man in einer Paarwelt lebt. Ein Dank mal an die Freundschaften, die trotz
Abschied von einem überdauern. Auch ein Dank an die Orte, die dich jetzt
allein aufnehmen, die Kneipe, das Urlaubshotel, Lieblingsstellen in der
Landschaft, St- Severin? Fühl hin, wo du dich wohlfühlst, da bleibe.
Und Trauer lehre dich auch, mit andern Verwitweten zu fühlen. Du zollst
ihnen mehr und mehr Respekt, weil sie schon Fachleute im Alleinzurechtkommen
sind.
Der von dir ging, wurde gerufen mittels Krankheit? Du bist seitdem aufmerksamer
auf die Zeichen des Körpers, bist hellhörig auf Veränderungen
bei dir und bei Nächsten. Und du hast den Infarkt, oder den Krebs, was
es war, kennen gelernt. Bist Wissender geworden, was Sterben sein kann, wie
Begleiten nötig und möglich ist. Und eine Wehmut ist dabei, daß
du sicher diese Nähe, die du geben konntest, wohl nicht mehr bekommst.
In der Trauer lernst du auch wie der Augenblick zählt. Soviel
auf und ab, in euren besten Zeiten viel üble Einsprengsel, viele gute
in den schlimmsten. Niemals trifft uns die ganze Wucht dessen, was wir als
das Eigentliche bezeichnen. Die Bezeichnung ist eben falsch.
Das Eigentliche ist eben dies Auf und Ab (C. S.Lewis), dies Durchwachsene
ist das Brot des Lebens.
Und Trauer ist auch das Wahrnehmen, wie man auseinander muß, ist erleben,
auseinander gerissen zu werden, ist erleiden die Trennung, die Tod heißt.
Und das Erschrecken, daß jeder sein Sterben hat, und allein in Gott
geht. Wir bleiben Gezeichnet für alles Weitere, aber gehen im Segen.
Für alle, die nicht zum Ehrenmal mitgehen noch dies: Wohl immer wieder
das Erschrecken über das Grauen der Kriege, das Vernichten von Leben,
das Morden und Martern in bewusstloser Zeit. Nie wieder wollen wir politisch
ahnungslos sein, nie wieder Fremdes verachten. Als Bürger in Deutschland
gehört zum Menschsein, wenn wir unserer Verstorbenen gedenken, dann
ist auch nötig ein Gedenken an Schuld und Leiden unseres Volkes und
durch unser Volk. Und daß wir durch Trauer hindurch auch lernten,
Demokratie und Menschenrechte zu achten und und uns freuen lernen, mit anderen
Völkern zu einem gemeinsamen Haus zu gehören.