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Predigt 29. August 2004

Keitumer Predigten Traugott Giesen 29.08.2004

Jesus und Nikodemus

Johannes 3,1-8

"Es war aber ein Mensch unter den Strengreligiösen mit Namen Nikodemus, einer von ihren Oberen. Der kam bei Nacht zu Jesus und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott ist mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde neu aus dem Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist."

Schon sehr schwebend - Fleisch und Geist, Wind und Weite... Nikodemus, ein Oberster der Religiösen, kommt zu Jesus bei Nacht, um zu reden. Ein gutes Gespräch ist nicht zu machen, es muß sich einstellen, wie der Wind - woher, wohin? Du merkst, wenn er da ist. Du merkst, wenn du in gutem Gespräch bist. Es kann einem zustoßen wie aus heiterem Himmel, man hat Zeit, etwa im Zug, kommt über den Titel eines Buches ins Gespräch, gewährt Einblick, nimmt Anteil. Es kann auch anders beginnen, hölzern etwa: Nikodemus sucht Jesus auf, er stellt sich nicht vor, er kann anscheinend davon ausgehen, dem Namen nach bekannt zu sein. Er zeigt seinem Gegenüber, in welcher Rolle er ihn zu sprechen wünscht: nicht als Mitmenschen; Bruder, Schwester... „Du weißt wovon ich rede, hast selber Schwierigkeiten und also kannst du von einem Weg reden, der sich auch mir auch wohl öffnen kann.“

Nikodemus will Jesus sprechen als Meister, als Spezialisten für Gott, hätte gern einen Meinungsaustausch unter Fachleuten und bietet distanzierte Ehrerbietung auf... wir wissen...und deine Zeichen sind vom allerfeinsten...- Aber Jesus will nicht gelehrt plauschen über Theologie, über Gott, will keine Mobilmachung von Argumenten in einem Behauptungskrieg, mit Befestigungskunst und Belagerungskunst. Jesus nimmt ihn sofort an ... über Gott reden - wer das will, der will von sich sich reden mit dem denkbar weitesten Horizont; Jesus geht sofort in ihn rein: Was du willst ist, ein neuer Mensch werden, Du willst im Reich Gottes sein. Nikodemus wehrt ab...Wie soll das gehen? Er sieht sich festgeschweißt auf einem Lebensbogen, der unerbittlich zum Tode hinneigt. Und bis dahin: Nur Niedergang, Verfestigung der Meinungen, Erstarrung der Gefühle. Grenzen, Mauern - was könnte noch hindurchdringen?

Gedanken und Argumente prallen ab, werden aufgehoben und ungebraucht zurückgegeben. „Neu geboren werden“- das würde doch den Zeitablauf ungeschehen machen, wie soll man sich denn wieder zurückentwickeln, etwa wie im rückwärts laufenden Film wieder in den Mutterleib fahren? Begriffsstutzig wartet er auf die Bestätigung seiner Vorbehalte. Die aber sind nicht seine Stimme, sondern Echo anderer Stimmen: „man“ und „es“:  "Was will man anderes erwarten"? "Was hat man noch zu melden?" , "Es gehört sich so", "Es ist doch so", "Es geht nicht anders". Nikodemus redet weit von sich entfernt, Begriffsmüll, viel Theoriegeröll hat Nikodemus vor der Tür zu seinem Inneren. „Man kann doch nicht zurück in seiner Mutter Leib“- er winkt schon ab, hat sich erledigt, das mit Jesus. Noch tiefer kriecht er in sich zurück, vielleicht wittert er, dass er auf dem Spiel stehen könnte, sein Überzeugungspanzer könnte platzen, wenn er jetzt nicht dicht macht. Er geht nicht auf Jesus Bildsprache ein: „Von neuem geboren werden“? - was soll das sein?

Wenn er sagte,“ ja, das tät ich gern“ - wenn er den Ball des Jesus doch aufgenommen hätte.... „Neu geboren werden, ein neuer Mensch werden, das wäre wunderbar“... hätt er das gesagt! dann könnte es weitergehen, beide könnten schwärmen von Verwandlung mitten am Tag. Doch Nikodemus macht dicht.

Es ist aber Nacht, da ist vieles möglich, die Nacht beruhigt, das Tagwerk ist vollbracht, die Sterne treten in ihre Pracht, es sind keine Zeugen; es ist wohl draußen, ein Garten, Abendwind. Jesus gelingt das Wunder eines Gespräches: Er tischt nicht Problematisches auf, er hypnotisiert nicht mit Glanz, er sieht die Dinge nicht vordergründig, nicht eindeutig, verwechselt nicht das Richtige mit dem Wahren, sondern tut Flügelschlag und Weite hinzu. Er nimmt ihn positiv, ergänzt ihn in Richtung seiner innersten Bewegung, er nimmt ihn wie eigentlich, er weiß, die Notwendigkeit der Seele stülpt sich nach außen. Was zwischen beiden gerade geschieht, was ihnen beiden widerfährt, kann Jesus ins Wort fassen: „Der Wind bläst, wo er will...“ Jesus nimmt ihn als den, der Verwandlung sucht; nicht nur den Wechsel äußerer Umstände, sondern Jesus sieht Nikodemus als den, der sich in Verwandlung wünscht, in Verwandlung wie der Wind.

So kann Nikodemus sich in neuem Umriß sehen, kann mit schöpferischer Geduld noch mal und wieder von vorn anfangen, sich selbst in Empfang nehmen als Neuland, die alten Meinungen von sich, über sich vergessen, neue Erfahrungen wagen. Jesus tut Göttliches: Er hält ihn mit Worten am Leben, holt ihn ins Lebendige, ins Anfangende zurück, das ist schon nah am Werk des Schöpfers, der durchs Wort erschuf ( nach E. Canetti). Jesus sagt ihm zu: Du bist aus Geist geboren, die Freiheit des Windes sei dein Bild. Du bist nicht festgelegt auf Biologie - Fleisch vom Fleische geboren - das ist von unten her; die Basis aber, das Ziel wohin und wie wir gemeint sind: Du bist „vom Himmel her geboren“ (Eugen Drewermann ).

Jesus weiß, wie festgezurrt Nikodemus in seinem Theologenschema ist, wie er meint die Rolle des Wissenden und des Regulierers spielen zu müssen. „Sein Leben gehörte seiner Pflicht“ (R.Walser). Dagegen: Der Wind weht wo er will. Und du aus Geist geboren, musst dich nicht garantieren, musst nicht deine gute Figur machen, deine Rolle aufrechterhalten. Du bist frei.  Das soll nicht heißen, daß du alle Systeme los wärest, aber die Ordnungen bette ein in dein Selbst, so werden es Ordnungen der Liebe. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.

Nikodemus nimmt Jesu Vision über sich als Zuspruch, als Taufe in diesen heiligen Geist, er sieht sich eingefädelt in einen Gottes-Zusammenhalt und wirft sein linkisches Wesen ab: Im Gegenüber der beiden findet die Verständigung statt, sie werden einander zugetan in Befreundung der Gedanken und Gefühle.

Diesen Wandel aus der Starre in so was wie Weg pries Luther glühend: "Dieses Leben ist nicht eine Frommheit, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden; nicht ein Wesen, sondern ein Werden. Wir sinds noch nicht, wir werdens aber." Und der Mystiker Johann Scheffler mahnt: „Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehen. Man muß aus einem Licht fort in das andere gehen.“ Ich möchte mir aus diesem nächtlichen Gespräch den Mut nehmen, einen Weg, meinen Weg zu erkennen, das sei meine Leistung, und du deinen , das sei dein Projekt. Auch Größten sind nicht vollkommen – sie sind nur die Wegkundigeren( L. Hohl) Und die wissen: Wohin wir auch gehen, wir werden uns verirren (Mateo Sagasta, zit. bei C. Nooteboom) - und werden gefunden.

Jesu Worte waren leicht und leise durch Nikodemus Ohr gegangen, aber als sie vorbei waren, ließen sie in ihm etwas zurück wie eine breite Radspur (nach R: Musil).

Lass den Heiligen Geist Autor über dich sein, lass den Geist wehen bei dir, sieh, was er anrichtet. Die Normen wird der Lehrer Nikodemus weiter auslegen, aber er wird zu seinem Wort finden, wird einstehen für seine Wahrheit, wird die Tradition wissend doch seine Auslegung wagen, zu seinem "ich aber sage euch" finden. – Er weiß auch, dass er irren wird, immer wieder, aber er bleibt auf dem Weg. Als Kind Gottes wird er eine lebendige Religion leben, die mit ihm zu tun hat, die durch ihn hindurchgegangen ist, der Atem der Freiheit, die Offenheit des Geistes wird ihm Flügel verleihen. Er kann von sich in der ersten Person sprechen, nicht mehr „man“ und „es“, sondern er hat ein Ich, weiß sich vom Himmel her angesprochen und gekannt.

Wie du das Rauschen des Windes hörst, nicht wissend woher er kommt, wohin er geht, so weißt du Gott; und weißt dich von Grund auf in ihn eingefügt, auch wenn Hin und Her unklar sein mögen. Ist das ein Glück, noch sind wir in der Lehre, das Leben zu lieben.


 




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