Predigt 11. April 2004
Keitumer Predigten Traugott Giesen 11.04.2004
Ostern
Johannes 20,24:
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht
bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben
den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen
die Nägelmale sehe und meine Hand in seine Seite lege, werde ich nicht
vertrauen. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen
versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen
verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede euch!
Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände,
und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht
verzweifelnd, sondern vertrauend. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein
Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, bist
du vertrauend geworden. Glücklich sind, die nicht gesehen haben und
doch zum Vertrauen gelangen!
Viele Osterpredigten haben wir schon gehört, viel Frühlingserwachen
war uns Vorbild für Auferstehen aus Ruinen und bedrängender
Realität. Aber die schwellende Natur, so schön sie uns leuchtet,
hat immer auch das Verblühen bei sich. Und Natur meint mich nicht, ich
bin ihr gleichgültig. Uns ist aber die Ewigkeit ins Herz gelegt. Darum
können wir nicht und müssen wir nicht uns abfinden, eingebettet
zu sein in den Naturkreislauf. Nicht das Schicksal blühender Blumen
macht uns vertrauensvoll. Sondern da ist der Lebenslauf dieses einen
gültigen Menschen Jesus - der erhebt unseren Geist, doch bitte, heiliger
Geist, der Morgenstern der Menschheit gehe auf in unseren Herzen, gehe mit
uns durch die Finsternis des Todes.
Er ist doch nicht aus Zeitvertreib erstanden. Er hat dem Leben den Horizont
erweitert, riss ab vom Himmel Tor und Tür, riss ab, wo Schloss
und Riegel für. Er hat weggewuchtet, was die Aussicht auf Bleibe
in Gott verstellt. Wo das Beil ins Glück fährt, da ruft er Verwandlung
ins Heilwerden aus. Wo wir Schluss und Ende sehen, da bahnt er Weg. Und
fahr ich durch die Höll, ist Christus mein Gesell. Wo er durch-
ist gangen, da bleiben wir nicht stecken.
Bis zu Jesus fuhr uns das Sterben vor die Wand. Doch er hat den Tod an Gott
gekettet. Dramatisch: Die Frauen kamen ans Grab, mit Salben und Tüchern,
ein letzter Liebesdienst am Bräutigam der Freude, vorbei, vorbei der
Traum vom festlichen Leben zerbarst am Grauen des Todes. Ein letztes fahre
wohl war ihm zu winken. Doch ja - da war ein Hauch von Ahnung einer
Hinfahrt in ein Totenreich, was besser ist als das nackte Garaus, Garnichts,
aber wenn noch eine Verbindung zu ihm gelänge, denken die Frauen am
Grab, dann kraft ihrer Liebe, ihres starken Gedächtnisses. Eingebrannt
bliebe das gemeinsame Glück, aber doch zurückliegend, vorbei, vorbei
Er selbst.
Doch er selbst erschien ihnen. Nicht sie hatten Visionen, wie man den geliebten
Menschen nachts sich vor die Augen holt. Nicht: Sie sahen..." - sondern
sie wurden zu Sehenden gemacht. Er war der Täter der Begegnung. Er hat
die Todeswand durchbrochen, basta. Nicht wie ein Wiederbelebter, der dann
bald doch stirbt. Sondern der erwies sich als bleibend, als seiend, der
feststellte: Es gibt nur eine Rasse, den Menschen; es gibt nur eine Religion,
die Liebe, es gibt nur einen Gott, der alles in allem ist.
Als Garant für den wahren Menschen, für die eine Religion, den
einen Gott ist er bei uns alle Tage. Er ist da als der Sauerstoff
Humanität: Ecce Homo!- Seht diesen Menschen, dann wisst
ihr, wer ihr seid - mit Wurzeln und Flügeln! Nehmen wir von ihm unser
Vertrauenswissen: Du, geliebt gebraucht; nicht nichtet uns Schuld, nicht
verschluckt der Tod, wir bleiben nicht sitzen, wo die Schatten länger
werden. Wir werden versetzt ins Haus von Licht, ins Lichthaus der Freude.
Zweifel sind erlaubt. Verzweiflung läuft mit.
Jesus hat Gott an das Leid der Welt gekettet, dem Hiob nach. Seit Jesus keine
Lobgesänge mehr auf einen im Himmel Thronenden, sondern auf Erden hat
er seine Werkstatt; da, durch die Leiden und Mühen muss er mit durch.
Der Tag, da er ruht mit aller Kreatur von seinen Werken, der siebte Tag,
der keine Nacht mehr hat, steht noch bevor; aber ist angebrochen.
Seit der Kreuzigung sollen wir Gott und Leid zusammendenken. Der Schöpfer
leidet mit, wie die Mutter mit ihrem Kind. Karfreitag geht so tief, dass
Gott mit steht und fällt. Und wär er nicht erstanden, so wäre
Gott vergangen. So aber: Christ ist erstanden! Die Trompeten des Lichts
verkünden den Morgen, der nie vergeht: In Christus ist das Leid an Gott
gekettet, damit ist Leid nicht Sackgasse, Tod nicht Ziel. Der mit leidende
Gott erweist sich als der Zukunftserfinder, der Zukunftsbeschaffer, wir haben
das Gute, das Höchste, das Beste noch vor uns. Ewige Freude über
ihren Häuptern, Schmerz und Seufzen entfliehn (Jesaja35), so schon geschehen
denen, die uns starben. Wir müssen die, die uns vorausgingen, im Glück
wissen.
Und doch, es gibt Seelentraurigkeit. Das Ich ist wie ausgewrungen und will
vergehen, es ist dies eine Krankheit zum Tode, es ist ein Jammer: Vergehen
wollen, weil man es satt hat, alles von hier zu erwarten. Auch satt hat die,
die sich im Hier und Jetzt völlig heimisch fühlen. Die nichts vor
sich haben, meinen, einfach mal zu verlöschen wie eine Kerze. Aber wir
wollen doch erwartet werden. Uns ist doch die Ewigkeit ins Herz gelegt (Prediger
3,11). Vor uns: Nach Hause kommen, gegen diese Sonne ist unser hiesiges
Heimkommen ein Schatten. Die Zeitmauer, diese Kerkerwand, wird im heiligsten
der Stürme zusammenfallen (nach Hölderlin). Und ist schon
durchstoßen in diesem Erstling der Entschlafenen Jesus
Christus. So ist das Ende offen. Wenigstens das sollte uns klar sein. Wenigstens
mit Neugier auf das offene Ende vorn, sollten wir dem Christus nachvertrauen.
Ja, wir zweifeln; zweifeln auch, wert zu sein über die Erdenzeit hinaus;
halten es auch für übertrieben, noch mehr zu verlangen, sind irgenwann
auch zu müde, zur Freude zu müde. Aber das wäre ein trauriger
Gott, der uns die Sehnsucht nach Erfüllung austreibt durch
Erschöpfung. Es gibt eine Skepsis, die zu denken lockt:
Zufällig bist du ins Dasein hinwürfelt, beschwer dich nicht,
wenns dich vom Tische fegt.- Aber der Christus denkt groß
von Gott und seiner Liebe und seinem Erfindungsreichtum, der will uns zu
sich hinentwickeln, will uns auferwecken. Gott würfelt nicht (A: Einstein),
sondern ruft aus sich heraus.
Zweifel sind erlaubt. Auch Paulus argumentiert: Uns ist die Sehnsucht nach
Auferstehung gegeben, also muss der beste, liebste Mensch, der erste Sohn
Gottes, auferstanden sein. Ist er das nicht, so ist unser Glaube nichtig,
ist unsere Hoffnung umsonst. Und wir wären die betrogensten Betrüger
unter allen (1. Korinther 15). Natürlich hätte Kirche gern einen
auferstandenen Jesus zur Hand mit dem durchbohrten Fleischkörper.- Am
liebsten einen Demonstrations-Christus, der durch die Generationen zieht.
Auf dass nicht Vertrauen, sondern Tatsachenfeststellung uns Basis sei.
Aber selig, die nicht sehen und doch vertrauen. Denn Man sieht nur
mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar-
wo gilt es mehr als in Vertrauensdingen. Da macht der Zweifel sich doch mehr
vor als der Glaube. Wer kontrolliert, lässt kein Platz für Vertrauen.
Thomas will selbst. Selber, selber ist eins der ersten
Kinderworte, alleine, alleine, Nicht weil andere gesagt haben,
er sei ihnen erschienen, gibt er sich gläubig. Ich will sehen,
mir soll er erscheinen, wie euch. Kann ich verstehen, ist ja für
uns geschrieben, die wir auch erste Jüngerinnen oder Jünger gern
gewesen wären: die ihn sahen und damit die Todesmauer als durchlässig
erlebt haben.
Jedenfalls musst du nicht glauben; das ist herrlich evangelisch: Christus
kommt dir entgegen, er bekehrt dich schon zu sich. Ob er dir leibhaftig erscheint
oder als Funkenflug des Glaubens in christlicher Gemeinde, hier oder anderswo...
Aber du, du brauchst keine Beweise. Du bist getragen, du hast den Christus
im Herzen, du hast ein Glücksverhältnis zu deinem Gott. Freu dich.
Und red nicht viel von den dir geschenkten Erscheinungen. Handle so, vergib
so, hoff so, dass man dich nach deinem Grund fragt, dann erzähle von
Christus und Co.
Wir müssen uns den Auferstandenen nicht vorstellen wie der Evangelist
Johannes. Er hat das geschrieben für Zweifler und Rechner, für
die, die nur das Fassbare fassen, denen erzählt er die Geschichte vom
ungläubigen Thomas. Mehr als Zeichen für Jesu Güte denn als
Beweis für die Auferstehung, lässt er den Thomas ihn anfassen.
Ob mit Glaube, Liebe, Hoffnung wir uns was vormachen? Aber Glaube, Liebe,
Hoffnung machen was aus uns, nicht unbedingt bessere Menschen aber freundlichere,
mit weitem Horizont.
Wie hilft man Menschen durch die Verzweiflung hindurch? Thomas trauert, Jesu
Leben war sein Leben, jetzt war es am Kreuz zerschlagen, das war das Letzte,
was er wusste. Seine Freunde hatten andere Erfahrungen. Sie waren schon wieder
glücklich. Aber Thomas wollte es sich nicht leicht machen. Er
hätte nicht sterben dürfen, nicht so. Warum sollte Thomas
weitermachen? Eigenartig Thomas, der Zwilling? Sollte er selbst mit ihm gestorben
sein, sollte er so parallel sich erlebt haben zu seinem geliebten Jesus,
dass er auch sich tot weiß? Es sei denn, er wüsste Christus realst
lebendig. dann könnt er wieder eigene Lebendigkeit wollen .-So in etwa
Eugen Drewermann.
Jesus wünscht den Seinen Friede sei mit euch, Ganzheit,
Heilsein sei mit euch. Und Thomas antwortet: Mein Herr und mein Gott!-
Herr und Gott ist, der mir ermöglicht, ich zu sein, mittels
seiner Engel. Christus ist der Engel überhaupt, weil er Brücke
ist, vom Zweifel zum Vertrauen, von Hier nach Dort, von mir zu dir, von
Finsternis zum Licht, vom Rechthaben zum Rechtschaffen, vom Vereinsamten
zur Befreundung, vom Verzweifeltsein zum Ganzwerden. Dir fängt doch
schon Leben an in Fülle, mit diesem Christus, dem Licht der Liebe. Amen.